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Ein wahrer Champion

Geschrieben von: Katharina aus Gladbeck (Gewinnerin des Bisafans Fanstory-Wettbewerbs)

Paul seufzte als wieder ein niedergeschmetterter Trainer seine Arena verließ. Er hatte mit seinen 20 Jahren schon fast alles erreicht und war nun seit drei Monaten Arenaleiter von Schleiede, doch schon langweilte ihn diese Aufgabe. Bis jetzt war ihm noch kein nennenswerter Herausforderer untergekommen, dabei hatte er sich so eigentlich auf seinen entscheidenden Kampf vorbereiten wollen.
Vor ein paar Tagen hatte er nämlich seine offizielle Herausforderung an den amtierenden Champ erklärt. Cynthia hatte auch sofort angenommen und der Kampf wurde für heute in einer Woche festgesetzt. Er verstand allerdings nicht, warum er noch so lange warten musste, denn er war bereit und er wollte endlich beweisen, dass er der Beste war!

Paul streifte durch die verlassene Arena. Seit er Arenaleiter war, gab es hier niemanden mehr. Alle waren der früheren Arenaleiterin Hilda gefolgt und hatten die Arena mit ihr verlassen. Aber nicht nur sie waren gegangen, auch sein Bruder Reggie hatte ihm den Rücken gekehrt, nachdem er Hilda bei ihrem letzten Kampf in den Boden gestampft und gedemütigt hatte. Er hatte die Enttäuschung in seinen Augen gesehen. Aber sie war einfach zu schwach und eine Fehlbesetzung gewesen und er hatte nun einmal den Entscheidungskampf um die Arena gewonnen. Cynthia, Volkner, der Arenaleiter von Sonnewik, und die hiesige Schwester Joy hatten ihn auch in seinem Amt bestätigt, alles andere war ihm egal gewesen.
Er konnte nur an seinen Kampf mit Cynthia denken, sie wäre die letzte Gegnerin, die es zu schlagen galt. Ansonsten hatte er alle besiegt: die Arenaleiter, seine ganzen Rivalen in der Pokémon-Liga und sogar die Top 4, sie war als Einzige noch übrig. Er hatte schon einige inoffizielle Niederlagen gegen sie einstecken müssen, doch mittlerweile glaubte er sie gut genug einschätzen zu können, so dass er sie dieses Mal schlagen würde.

Gerade wollte Paul die Arena verlassen, um an einem anderen Ort zu trainieren. Diese Arena hier war leider nur für das Training von Kampf-Pokémon ausgerichtet und er hatte nicht vor, sich darauf zu spezialisieren. Vor allem würde er den Posten hier ohnehin an den Nagel hängen, wenn er Champion wäre, denn er diente allein der Vorbereitung dafür.
Doch als er aus dem Gebäude trat, entdeckte er eine bekannte Person unter dem Torbogen am Eingang des Grundstückes. Mit eleganten Schritten näherten sich ihm klackernd zwei paar schwarze Stiefel, die zu seiner stärksten und einzigen Rivalin gehörten. Ihr schwarzer Mantel schwebte über den Boden und ihre blonden Haare rahmten wie immer ihr schönes Gesicht ein.
„Was willst du hier? Ich dachte, unser Kampf findet erst nächste Woche statt?!“, begrüßte Paul seine Besucherin auf seine unfreundliche Weise.
„Ich wollte nur mal sehen, wie sich der neue Arenaleiter von Schleiede so macht“, gab Cynthia mit einem Lächeln zurück.
„Trainieren“, entgegnete er kühl und schritt an ihr vorbei.
Cynthia schmunzelte kurz, bevor sie sich zu ihm umdrehte.
„Glaubst du, dass dir das noch helfen wird?“
Paul blieb augenblicklich stehen. „Was willst du damit sagen?“, sein Tonfall war scharf und er machte sich nicht einmal die Mühe sich umzudrehen und seine Rivalin anzusehen.
„Du bist noch nicht bereit mich zu schlagen“, sagte sie direkt heraus.
Nun wandte er sich doch um und blickte sie mit funkelnden Augen an, „Dann werde ich dir das Gegenteil beweisen.“
„Ich bin gespannt. Aber ich habe dich oft genug kämpfen sehen, du bist kein Champ. Du hast auch offenbar immer noch nicht verstanden, was es bedeutet, Arenaleiter zu sein“, nun war sie diejenige, die kühl an ihm vorbei ging, doch ein geheimnisvolles Lächeln lag auf ihren Lippen, welches er noch nie hatte definieren können.
„Mich hat noch kein Herausforderer geschlagen, kein Arenaleiter ist besser als ich.“
Im Torbogen blieb Cynthia noch einmal stehen und drehte sich zu ihm um, „Ein Arenaleiter zeichnet sich nicht dadurch aus, möglichst viele Herausforderer zu besiegen. Deswegen bist du in den letzten Monaten auch nicht besser geworden. Aber wenn du nicht verstehst, worauf es ankommt, dann werde ich es dir nächste Woche gerne zeigen“, mit diesen Worten verließ sie die Arena wieder und ließ einen wütenden Paul zurück.
Er hatte seine Hände zu Fäusten geballt und knirschte mit den Zähnen. Sie war die Einzige, die noch so mit ihm sprach. Was sollte er nicht verstanden haben? Worauf sollte es schon ankommen außer aufs Gewinnen? Verlierer waren schwach, es zählte bei einem Kampf nur der Sieg. Gerade deswegen faszinierte sie ihn auf eine gewisse Weise. Sie verlor niemals, sie war immer souverän und wusste bei jedem Schritt, bei jeder Attacke, was sie tat und welche Wirkung sie erzielen musste. Doch warum sprach gerade sie davon, dass es nicht nur ums Gewinnen ging, wenn sie doch nie verlor?
„Lächerlich“, tat er das Gespräch von eben für sich ab und machte sich endlich auf den Weg, um zu trainieren. Die Arena würde wieder einmal leer bleiben.

„Hallo?“
„Hallo Lucien, ich bin es, Cynthia.“
„Ah, bist du etwa schon in Schleiede angekommen?“
„Ich habe gerade mit dem Arenaleiter gesprochen.“
Es folgte bedächtiges Schweigen auf der anderen Seite des Telefons. Cynthia stand geduldig in der Telefonzelle und beobachtete die Leute, die an ihr vorbei gingen. Sie wusste, dass Lucien nicht viel von Paul hielt, er war auch dagegen gewesen, ihn als Arenaleiter einzusetzen. Die Niederlage gegen ihn war für Lucien auch sehr bitter gewesen und er hatte wohl immer noch mit ihr zu kämpfen. Aber alle der Top 4 waren sich einig, dass Cynthia sich selbst davon überzeugen sollte, wie er seinen Aufgaben als Arenaleiter nachkam.
„Er hat sich nicht verändert“, fügte Cynthia schließlich hinzu, als Lucien sich immer noch nicht die Mühe machen wollte nachzufragen. Aber vielleicht hatte er auch bereits ihrem Tonfall entnommen, dass sie ihre Meinung nicht geändert hatte.
Sie war es nämlich gewesen, die seinen Wunsch gewährt hatte, die hiesige Arenaleiterin um ihre Stelle herauszufordern. Da Hilda angenommen und verloren hatte, gab es nichts an seiner Berufung zu beanstanden.
„Was findest du nur an ihm?“, Lucien konnte diese Frage nicht länger zurück halten. Cynthia war manchmal wirklich eigenartig, aber alle ihre Entscheidungen hatten einen Sinn. Doch bei dieser Sache konnte er ihn offenbar einfach nicht erkennen.
„Er hat viel Potenzial. Er hat nur eine wichtige Sache noch nicht erkannt.“
„Also da würden mir mehrere einfallen.“
Cynthia musste kurz lachen. „Vertrau mir, er wird schon noch ein guter Arenaleiter werden. Wenn er nicht fähig dazu wäre, hätte er Hilda gar nicht erst schlagen können. Er weiß es vielleicht selbst nicht, aber Arenaleiter kann nur jemand werden, der es auch wirklich will.“
„Dein Wort in seinen Gehörgang“, seufzte Lucien, „Was hast du jetzt vor?“
„Ich werde abwarten, bis sich die richtige Situation ergibt.“
„Ich hoffe wirklich, dass du Recht behalten wirst. Melde dich, wenn du wieder abreist.“
„Das mache ich. Also bis dann“, verabschiedete sich Cynthia und hängte den Hörer wieder in die Gabel.
Zuversichtlich trat sie aus der Telefonzelle und sah in den strahlend blauen Himmel hinauf. Paul war mehr als fähig. Er war stark und er wusste, was er wollte. Er traf seine Entscheidungen und nahm die Konsequenzen, wie sie kamen. Er akzeptierte Sieg und Niederlage, es gab keine Kompromisse, kein vielleicht. Diese Konsequenz fand sie so faszinierend an ihm.
Seit ihrem ersten Kampf hatte er sich auch wirklich entwickelt, er war unglaublich stark geworden. Es gab nur noch eine Lektion, die er lernen musste.

Nach einigen Stunden harten Trainings mit seinem Elevoltek beschloss Paul, wieder zur Arena zurück zu kehren. Er verließ den Wald außerhalb der Stadt und schritt zielstrebig durch die Straßen von Schleiede. Irgendwann rasten einige Feuerwehr- und Polizeiwagen mit lautem Sirenenalarm an ihm vorbei und bogen in die nächste Straße Richtung Stadtzentrum ab. Paul ließ sich davon nicht stören und schlenderte weiter.
„Oh mein Gott, sieh dir das an!“
„Oh ja, da scheint es zu brennen. Überall in der Stadt sind auch Sirenen zu hören.“
Paul schenkte den Worten der beiden Frauen nur insoweit Aufmerksamkeit, dass er ihren schockierten Blicken folgte und so ebenfalls den Qualm entdeckte, der über die Stadt zog. Er kam von einem hohen Gebäude aus dem Stadtzentrum, seines Wissens nach handelte es sich dabei um das hiesige Erholungshotel. Er wollte sich wieder von dem Szenario abwenden, als er plötzlich Cynthia entdeckte, die mit ihrem Milotic über die Dächer der Stadt schwebte. Offenbar war sie auf dem Weg zum Unfallort. Für einen kurzen Moment schienen sich ihre Blicke in der Luft zu treffen. Paul sah ihr noch so lange nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwand.
Was war sie nur für eine Trainerin? Warum verschwendete sie ihre Energie, um bei so einer Katastrophe zu helfen, das betraf sie doch überhaupt nicht. Doch viel schlimmer war es, dass ihn diese Frage so sehr beschäftigte, dass er sich schließlich doch dazu entschloss, sich ebenfalls auf den Weg dorthin zu machen.

Paul landete mit seinem Skorgro auf dem Dach eines gegenüber liegenden Gebäudes. Die obersten Etagen des Hotels brannten mittlerweile lichterloh, wenn der Brand nicht gelöscht werden würde, könnte das Gebäude womöglich einstürzen. Die Feuerwehrwagen waren machtlos, denn so weit nach oben reichten ihre Kanonen nicht. Ein paar Feuerwehrmänner kamen mit einigen Hotelgästen aus dem brennenden Gebäude gerannt, offenbar war das Einzige, was sie noch tun konnten, das Gebäude zu evakuieren und zu sichern.
Aber wo steckte Cynthia? Er konnte sie nirgends entdecken. Doch plötzlich hörte er Scheiben klirren und Cynthias Milotic flüchtete aus einer der brennenden Etagen. Auf seinem Rücken saß Cynthia, sie hielt ein kleines Mädchen in den Armen. Paul beobachtete, wie sie es unten in Sicherheit absetzte und sich sofort wieder auf den Weg machte. Ihr Milotic versuchte das Feuer mit seiner Hydropumpe zu löschen. Zwischen den Feuerwehrleuten entdeckte er auch auf einmal ihr Lucario, welches bei der Evakuierung der Gäste mithalf.
Warum tat sie das? Wieso war sie hier und half Leuten, die sie überhaupt nicht kannte, die sie vielleicht nie wieder sehen würde und die sich nicht einmal dafür erkenntlich zeigten?
Seine Blicken ruhten allein auf ihr. Cynthia dirigierte ihr Milotic strategisch an und sie schien wirklich Erfolg zu haben, die Flammen wurden schwächer. Ihre Haltung ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich sicher war, erfolgreich zu sein. Sie wusste genau, wie sie vorgehen musste und dass sie es schaffen würde. Woher? Wie konnte sie sich immer so sicher sein?
Doch plötzlich gab es eine Explosion und Flammen schossen aus dem Gebäude. Das Feuer musste irgendetwas in die Luft gejagt haben. Teile der Wände fielen nach unten auf die Straße und krachten sogar auf einen Feuerwehrwagen. Cynthias Milotic wurde ebenfalls von den Flammen gestreift, doch davon ließ es sich nicht abschrecken. Es versuchte weiter, das größer gewordene Feuer zu löschen.

„Milotic, wir müssen erst versuchen, das Gebäude zu stabilisieren. Setz Bodyguard ein!“
Milotic begann wundervoll zu leuchten, bevor es mit seinem Körper Teile des Gebäudes abstützte und in eine stabilere Position schob. Immerhin würden die Menschen in dem Hotel und auf der Straße so mehr Zeit gewinnen.
„Gastrodon, versuche du in der Zwischenzeit das Feuer auf dem Dach zu löschen“, ein Pokéball flog durch die Luft und Cynthias Pokémon landete auf einem noch heilen Fleckchen Boden.
Sie mussten das Feuer unter Kontrolle halten, doch das Gebäude würden sie nicht retten können. Mit einem Blick nach unten erkannte Cynthia, dass mittlerweile auch alle Feuerwehrleute das Gebäude verließen, das Hotel war offenbar vollständig evakuiert worden. Ihre Arbeit hier wäre damit getan, jetzt galt es nur noch das Feuer zu löschen. Doch in diesem Moment schoss ein weiterer Flammenstrahl direkt durch das Fenster neben ihr nach draußen. Milotics Bodyguard konnte sie vor Schaden bewahren, doch es konnte die Kante des Hotels nicht mehr tragen. Es musste zur Seite weichen, als die Ecke des Gebäudes unaufhaltsam abrutschte, und zusehen, wie sie auf die Straße unter ihnen fallen würde.
„Kreuzschere!“, Cynthia sah aus dem Augenwinkel, wie ein Skorgro mit sehr schnellem Tempo die Luft durchschoss und mit seinen Scheren auf den Gebäudeteil durchschnitt. Im nächsten Moment zersprang der Beton in tausend kleine Stücke und rieselte langsam zu Boden.
Mit einem Blick in die Richtung, aus der das Skorgro gekommen war, entdeckte sie Paul. Er stand scheinbar teilnahmslos auf dem Dach eines gegenüber stehenden Gebäudes und hatte wie üblich seine Hände in seinen Taschen vergraben, aber sie erkannte genau, dass er sie anblickte. Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab, sie hatte gewusst, dass er kommen würde.
Während sie sich also weiter daran machte, das Feuer endlich zu löschen, pulverisierte das Skorgro weiter alle Gebäudebrocken, die sich zwischendurch lösten, damit sie keine Gefahr mehr darstellten. Irgendwann waren die Flammen endlich erstickt und auch keine überraschende Explosion folgte mehr. Skorgro kehrte zu seinem Trainer zurück, der auf dessen Rücken sprang und sich sofort vom Ort des Geschehens entfernte. Cynthia ließ es sich jedoch nicht nehmen, noch einmal mit der Feuerwehr zu sprechen und auch ein gutes Wort für den Arenaleiter einzulegen.

Den Abend verbrachte Paul allein zu Haus. Reggie hatte ihm sozusagen das Haus in Schleiede überlassen, als er mit Hilda die Stadt verlassen hatte. Er wusste nicht einmal, wohin die beiden gegangen waren. Ein wenig wunderte es ihn schon, denn er wusste, dass sein Bruder an dieser Stadt hing.
Doch das störte ihn wenig, so hatte er wenigstens seine Ruhe, auch wenn es manchmal doch merkwürdig anfühlte, dass nie jemand da war, weder in der Arena noch hier. Er aß alleine, er trainierte alleine, er erledigte alles selbst, so hatte er es schon immer gemacht und so hatte es bis jetzt auch immer funktioniert. Doch es war schon irgendwie anders. Als er noch durch die Gegend reiste, war es normal, aber hier nun niemanden zu haben, jeden Tag dasselbe Alleinsein, war schon auf eine gewisse Art und Weise einfach merkwürdig. Zwar wechselten seine Herausforderer, aber irgendwo blieb doch auch immer alles dasselbe.
Es langweilte ihn. Und wenn er auch noch Cynthia geschlagen hatte, was hätte er dann noch für ein Ziel? Wäre es interessanter ein Champion zu sein als Arenaleiter? Doch darüber konnte er sich Gedanken machen, wenn es so weit wäre. Jetzt konnte er sich erst einmal auf den bevorstehenden Kampf freuen. Jede Begegnung mit Cynthia war ein Erlebnis, sie war die Einzige, die ihn wirklich beeindrucken und überzeugen konnte und das in vielerlei Hinsicht.

Paul wollte gerade sein Geschirr in die Spüle stellen, als es unerwartet an der Tür klingelte. Wer sollte ihn denn jetzt noch besuchen? Bei ihm zu Hause kam fast nie jemand vorbei, schon gar nicht zu so später Stunde. Kurz überlegte er, gar nicht erst aufzumachen, aber ein Gefühl sagte ihm, es dennoch zu tun. Sein Gefühl hatte ihn auch nicht betrogen, denn es war Cynthia, die lächelnd vor der Tür stand.
„Guten Abend.“
„Was willst du diesmal?“, weder begrüßte Paul sie noch bat er sie hinein, er bedachte sie lediglich mit einem ungeduldigen Blick, doch davon ließ sie sich natürlich nicht verunsichern.
„Mich für deine Hilfe bedanken“, gab sie gelassen zurück.
„Bilde dir bloß nichts darauf ein.“
„Ich nicht, aber der Feuerwehrhauptmann womöglich“, Paul warf ihr ob dieser Bemerkung nur einen fragenden Blick zu. „Ich habe ihm gesagt, dass du dich ebenfalls an der Rettungsaktion beteiligt hast. Er schien überrascht aber genauso erfreut darüber zu sein.“
Pauls Blick wurde ernst. Was dachte sie sich nur dabei?
„Er soll nur nicht auf die Idee gekommen, dass ich ihm öfter helfen würde.“
„Warum nicht?“, Cynthias Lächeln nahm wieder diese undefinierbare Form an, die ihn etwas unsicher machte.
„Es geht mich nichts an.“
„Wirklich nicht? Soweit ich weiß, ist ein Arenaleiter dazu da, über seine Stadt zu wachen.“
„Hm, das habe ich nicht nötig.“
„Ich denke doch.“
Da war schon wieder dieses Funkeln in ihren Augen, das sie so überlegen wirken ließ. Er bekam sogar das Gefühl, als könnten seine Beine bald unter diesem Druck nachgeben. Im Kampf gegen sie war ihm das noch nie passiert, aber wenn sie ihm so gegenüber stand und etwas sie zu ihm sagte…
Er kam sich beinahe vor wie ein kleines Kind, dem man Anweisungen gab, wie es sich zu verhalten hatte. Aber sie behandelte ihn nicht wie ein kleines Kind, wie kam er nur auf solche Gedanken?! Sie schien ihm einfach in allen Dingen meilenweit überlegen zu sein.
„Es ist nicht nur deine Pflicht, in deiner Stadt für Ordnung zu sorgen. Er formt dich auch als Arenaleiter und als Mensch.“
„Was für ein Unsinn“, versuchte er dagegen zu halten, er wollte sich von ihr nicht unterkriegen lassen.
„Warum willst du es nicht verstehen. Jeder, der alleine kämpft, wird irgendwann verlieren. Es ist zwar immer gut, ein Ziel vor Augen zu haben, aber das reicht irgendwann nicht mehr aus. Was fühlst du, wenn du gegen einen Herausforderer antrittst?“
Paul sah sie nur stumm an. Was sollte er auch darauf antworten?!
„Egal ob Sieg oder Niederlage, jede Herausforderung prägt den Herausforderer sowie auch den Arenaleiter, in jedem Kampf kann man eine neue Erfahrung sammeln, aber nur, wenn man sich den Menschen, der vor einem steht, auch genau betrachtet. Man will anderen etwas beweisen, man will sich selbst etwas beweisen, aber im Prinzip will man nur stärker werden, um sich das bewahren zu können, was einem wichtig ist. Was ist dir wichtig?“, Cynthia sah ihn dabei so eindringlich an, dass es ihn selbst fast schockierte.
Sollte er wirklich ernst nehmen, was sie da sagte? Wenn ja, was wollte er sich bewahren? Was war ihm denn wichtig, außer der Stärkste zu werden?
„Also mir ist es wichtig, den Frieden in dieser Welt zu bewahren, weil ich glücklich bin, in ihr leben zu dürfen. Und du gehörst auch dazu“, Cynthias Lächeln wurde sanfter und bevor Paul es sich versah, hatte sie ihre Hand auf seine Wange gelegt und er spürte eine zarte, kurze Berührung ihrer Lippen.
Der Moment war genauso schnell wieder vorüber, wie er gekommen war. Und er ließ ihn sich nach mehr sehnen.
„Ich genieße jeden Kampf mit dir“, flüsterte sie ihm ins Ohr, bevor sie sich wieder von ihm entfernte. „Wir sehen uns in einer Woche. Vielleicht ist dir bis dahin auch eingefallen, was dir wichtig ist.“
Cynthia wandte sich zum Gehen um. Paul stand stumm in der Haustür und blickte ihr nach. Ihm fehlten die Worte. Ihm fehlten die Worte zu definieren, was er fühlte. Er würde Einiges dafür geben, diesen kurzen Moment von eben noch einmal zu spüren, vielleicht sogar alles.
Cynthia war schon eine ganze Weile nicht mehr zu sehen, doch er blieb einfach so da stehen. Vielleicht war er wirklich noch nicht so weit. Wie könnte er gegen sie bestehen, wenn sie ihn so erstarren lassen konnte?! Und doch bekam er das Gefühl, jetzt erst recht gegen sie gewinnen zu müssen. Dieser Wunsch wurde immer stärker. Wenn er besser wäre als sie, würde er sich vielleicht nicht mehr so hilflos wie jetzt vorkommen. Aber vielleicht wollte er auch nur gewinnen, weil sie ihm nach all ihren Kämpfen wichtig geworden war. Auf jeden Fall würde er das nächste Woche herausfinden!
Paul seufzte, doch ein leichtes Grinsen legte sich auf seine Lippen. Er drehte sich um und ließ endlich die Tür wieder zurück ins Schloss fallen.

„Hallo Lucien, ich bin es noch mal.“
„Hallo Cynthia. Jetzt sag nicht, dass du nach einem Tag schon wieder abreisen willst?!“
„Ich habe hier nichts mehr zu tun. Der Arenaleiter wird sich seiner Aufgabe schon bewusst werden. Der Kampf nächste Woche verspricht auch sehr spannend zu werden.“
„Du hast dich schon lange nicht mehr so auf eine Herausforderung gefreut“, bemerkte Lucien, der ihre versteckte Freude deutlich aus ihrer Stimme heraus hören und er sprach aus Erfahrung, denn er selbst war ihr häufigster Herausforderer und bis jetzt immer gescheitert, so dass es ihr vermutlich schon langweilig wurde.
„Das stimmt. Er ist einfach etwas Besonderes“, Cynthia lächelte sehr selbstzufrieden. So einen Trainer wie ihn hatte sie bis jetzt wirklich noch nicht getroffen. Er war ein starker Mensch, er musste nur noch lernen, wie er diese Stärke teilen konnte und wofür er sie einsetzen sollte. Doch das würde er, da war sie sich sicher, denn sie hatte es vorhin in seinen Augen erkennen können.
„Dann ist ja alles in Ordnung und ich kann gleich beruhigt schlafen gehen.“
„Kannst du. Wir sehen uns dann spätestens nächste Woche bei dem Kampf.“
„Bis dann!“
Damit war das Gespräch beendet.
„Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet du einmal so große Stücke auf meinen Bruder halten würdest“, Cynthia legte den Hörer auf und trat freundlich lächelnd aus der Telefonzelle. Sie hatte sich schon gedacht, dass Pauls Bruder auch hier wäre, denn sie hatte ihn heute am Unfallort entdeckt.
„Ich kann selbst nur schwer beschreiben, womit er mich so beeindruckt hat.“
„Aber dann brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen und ich kann weiter behaupten, dass die Arena von Schleiede in guten Händen liegt“, Reggie trat noch ein paar Schritte auf sie zu, bis sie sich Auge in Auge gegenüber standen.
„Das kannst du“, Cynthia hielt seinem immer noch prüfenden Blick stand.
Auch Reggie war ein großer Mann, er hätte sicherlich auch das Zeug zum Champion, wenn er es wirklich wollte. Das lag wohl in der Familie.
„Pass bitte trotzdem gut auf meinen Bruder auf, denn er wird wohl immer ein Sturkopf bleiben.“
„Das macht nichts“, Cynthia kicherte kurz, „Und ich denke mir, dass Hilda ihre Niederlage mittlerweile verkraftet hat?“
„Ja, es hat sie zwar schwer gekränkt, dass sie so gegen ihn verloren hat, aber sie ist stark und weiß damit umzugehen. Ich kann sein Verhalten nur dieses Mal nicht tolerieren. Aber vielleicht werde ich Paul auch irgendwann mal herausfordern, wenn er ein wahrer Arenaleiter oder vielleicht sogar Champion geworden ist“, Reggie grinste leicht.
„Dem Kampf würde ich dann auch gerne beiwohnen“, Cynthia grinste ebenfalls.
Mit einem anerkennenden Nicken verabschiedeten sich die beiden schließlich wieder von einander und jeder ging seiner Wege. Jeder hatte noch seine Kämpfe auszutragen, doch am Ende würden sie alle auf ihre Weise erfolgreich sein, denn es war das Ziel, dass einen wahren Champion ausmachte.