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Polaris und Borealis

Fanstory von Mey-chu

Es war - wie sollte es auf dem Eisberg auch anders sein - eiskalt. So kalt, dass sich eigentlich niemand freiwillig auf diesen Berg traute, jedenfalls niemand, der noch bei klarem Verstand war.

Nuri war nicht bei klarem Verstand. Das lag bei ihr irgendwie in der Familie, obwohl es auch nicht weiter verwunderlich war, dass man bei zwölf Geschwistern irgendwann den Verstand verlor.

Nuri Stokér, siebzehn Jahre und angehende Pokémonmeisterin, passionierte Gelegenheitszicke und außerdem auch noch viel zu jungenhaft, um ernsthaft für ein Mädchen gehalten zu werden, stiefelte in diesem Moment durch den knappe fünfzig Zentimeter hohen Schnee. Das schwarzhaarige Mädchen zog sich ihren Mantel enger um ihren Körper, um sich möglichst warm zu halten und dem eisigen Nordwind keine allzu große Angriffsfläche zu bieten. Sie musste sich regelrecht gegen diesen Wind stemmen, der sie wie eine Wand immer weiter nach hinten drücken wollte, als ob er verhindern wollte, dass sie noch weiter auf den Eisberg vordrang.

Aber Nuri kämpfte sich verbissen immer weiter voran, langsam zwar, aber dennoch Schritt für Schritt immer weiter. Hinter ihr folgte ihr ein kleines Pokémon durch den Schnee und hielt sich so dicht wie möglich hinter seiner Trainerin, um nicht davongeblasen zu werden. Das noch sehr junge Leafeon hatte wirklich alle Mühe damit, den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren, während der Wind unerbittlich an ihm zog und zerrte.

Sie waren schon eine ganze Weile unterwegs gewesen und hatten auch schon ein gutes Stück des Berges hinter sich gelassen, aber an eine Pause war gar nicht erst zu denken, jedenfalls nicht bis sie den Gipfel erreicht hatten, zumal es hier auch nirgendwo einen geschützten Bereich gab, wo sie sich hätten ausruhen können. Und Nuri wusste schließlich auch um die Gefahren des Eisberges, um die wilden Pokémon, die diese Wüste aus Schnee ihr Zuhause nannten. Deshalb lag es auch nicht in ihrem Interesse, sich hier länger als nötig aufzuhalten.

Dennoch mussten sie weiter, die nächste Stadt und somit ihr nächster Orden war einfach am schnellsten direkt über diesen Berg zu erreichen und die junge Trainerin wollte eben einfach keine Zeit verlieren. Viel hatte sie ohnehin nicht mehr davon, bis die Liga der Sinnoh Region ihren Champion krönen würde. Bis zum Einbruch der Nacht mussten sie es also unbedingt auf den Gipfel schaffen und ihr Lager in dem Höhlenlabyrinth aufschlagen. Die Schwarzhaarige hoffte, dass ihr kleines Pokémon bis dahin durchhalten würde.

Sie warf einen Blick über ihre Schulter auf das Pflanzenpokémon, dessen Fell von kleinen Eiskristallen übersäht war und dessen Ohren so kristallern aussahen, dass man Angst haben musste, sie würden zerbrechen. "Es ist nicht mehr weit, Sumi, streng dich noch ein wenig weiter an.", sagte sie und schenkte dem Pokémon ein ermutigendes Lächeln.

Sumi, wie das Leafeon liebevoll von Nuri getauft wurden war, nickte nur und setzte mit entschlossenem Blick und ebenso entschlossenen Schritten den Weg fort. Es würde ganz gewiss nicht aufgeben, es würde seiner Trainerin selbst bis ans Ende der Welt folgen. Und somit ignorierten beide, Trainerin und Pokémon, die schon tauben Füße, die Eiseskälte und den schneidenden Wind und marschierten voran.

Es dämmerte bereits und Nuri hielt nur einen kurzen Moment inne, um eine kleine Gaslampe zu entzünden, damit sie die Orientierung in diesem Schneechaos nicht verlor. Sie hatte von Natur aus einen ausgesprochen guten Orientierungssinn, aber nach über sechs Stunden umgeben von nicht anderem als Weiß wollte man es lieber nicht drauf ankommen lassen. Also zog sie außerdem noch eine abgenutzte, alte Karte aus ihrer Tasche und dazu einen Kompass, um ihre Position zu überprüfen. Bei dem aufziehenden Schneesturm war es zwar beinahe unmöglich, irgendetwas zu erkennen, aber sie vermutete zumindest, dass sie richtig waren.

Das Schneegestöber wurde immer dichter und beinahe wäre Nuri an dem zugeschneiten Höhleneingang vorbeigestapft, hätte ihr Leafeon nicht aufmerksam ein zittriges "Mio~!" von sich gegeben. Aber so schafften es die beiden noch kurz bevor die Sonne vollständig hinter den weit entfernten Wipfeln des Hakutai-Waldes untergegangen war in das Innere der Höhle.

Nuri schlug ihr Lager weit genug entfernt vom Höhleneingang aber nicht zu weit im Inneren der dunklen Gänge auf, ihr war es sehr wohl bewusst, dass in einer Nacht in diesem Berg von allen Seiten Gefahren drohten. Sie setzte sich auf ihren ausgerollen Schlafsack und stellte die Gaslampe vor sich. Dann lächelte sie ihr Leafeon an.

"Na komm schon her." sagte sie freundlich, woraufhin das Pflanzenpokémon sofort auf ihren Schoß sprang und sich zitternd und bibbernd an seine Trainerin schmiegte. Ein Schmunzeln legte sich auf Nuris Lippen, als sie ihr Pokémon in ihre warme Jacke einwickelte und ganz fest drückte. "Morgen werden wir in einem richtigen, warmen Bett schlafen, versprochen." Sie zog ein paar Pokériegel aus ihrem Rucksack, sowie noch eine zusätzliche warme Decke für Sumi und nachdem sie sich ausreichend um ihren Begleiter gekümmert und es und auch sich selbst wieder enteist hatte, legten sie sich tief in den Schlafsack gekuschelt schlafen.

Bald waren beide vor Erschöpfung in einen tiefen Schlummer gefallen und merkten so auch nicht, wer sich gerade ihrem Lager näherte. Wache und glühende Augen huschten über die Schlafenden, hin zum Höhleneingang, zu dem Rucksack, in dem sich aller Wahrscheinlichkeit nach noch etwas Essbares befand und wieder zurück zu dessen Besitzer. So lautlos wie Schatten glitten die wilden Pokémon über den vereisten Felsboden und durchstöberten neugierig das Gepäck.

Ein etwas tollpatschiges Mitglied des Rudels stieß aber im Vorbeiwieseln die Gaslampe um, die scheppernd über den steinigen Boden rollte und schließlich dampfend erlosch. Nuri schlug sofort ihre Augen auf, sie war durch das Geräusch wieder vollkommen wach geworden. Und sie spürte sofort die Präsenz von fremden Wesen ganz dicht neben ihr. Ruckartig setzte sie sich auf, Sumi auf ihrem Arm, und blickte in die Dunkelheit, aus der sie dutzende rote Augenpaare anstarrten. Sie zog erschrocken die Luft ein. Es dauerte einen kurzen Moment, bis sich ihre Augen an die Finsternis gewöhnt hatten und sie die Fremden schemenhaft erkennen konnte.

"Sniebel...? Und Snibunna!!", stellte sie erschrocken fest. Tatsächlich standen vor ihr, hinter ihr, neben ihr und sogar über ihr überall Sniebel und mitten unter ihnen thronte herrschaftlich ein Snibunna. Nuri versuchte, Ruhe zu bewahren. Sie wusste, dass wilde Sniebel nicht gerade friedliebende Pokémon waren und Hindernisse auch gern mal aus dem Weg räumten, um an Beute zu kommen. Die Beute war wohl in diesem Fall ihr Proviant.

Langsam und vorsichtig wollte Nuri nach ihrem Rucksack greifen, in dem sich auch ihre übrigen Pokébälle befanden, doch bevor sie ihn erreichen konnte, wurde sie auch schon Opfer einer gut platzierten Kratzer-Attacke, die ihr drei blutige Striemen auf dem Handrücken bescherte. Sie zog ihre Hand schnell wieder zurück und drückte in der selben Bewegung ihr Pokémon fest an sich, welches nun auch wieder aufgewacht war. Sumi konnte sie unmöglich zumuten, gegen so viele Gegner zu kämpfen, die Reise hierher war viel zu zermürbend gewesen.

Die Sniebel schienen ihre Bewegung als Bedrohung und Kriegserklärung zu sehen und Snibunna gab schließlich den offiziellen Befehl, den Feind einzukreisen. Schnell war Nuri auf ihre Füße gesprungen und wich vor den näher kommenden Pokémon zurück. Die roten Augen wirkten jetzt noch bedrohlicher als vorher. Die Trainerin sah sich suchend um, aber die Sniebel hatten sie schon eingekreist. Nach draußen konnte sie nicht fliehen, die Sniebel waren viel flinker und an dieses Wetter gewöhnt. Wenn sie ihnen entkommen wollte, hieß das also, dass sie tiefer in die Höhle vordringen musste. Und zwar schnell.

Das schwarzhaarige Mädchen duckte sich unter einem angreifenden Sniebel hinweg, sprang einfach über zwei weitere und rannte dann so schnell sie nur konnte in die Dunkelheit, ohne überhaupt zu wissen, wo sie hinlief. Sie konnte hören, wie die Krallen auf dem Steinboden kratzende Geräusche machten, als die Unlichtpokémon die Verfolgung aufnahmen. Nuri nahm so viele Abzweigungen wie möglich und gelangte so immer tiefer in das Labyrinth, aber das kümmerte sie im Moment nicht. Schließlich sprang sie hinter einen großen Felsen und versteckte sich dort atemlos.

Ganz still lauschte sie auf die Geräusche um sich herum und hörte eine kleine Gruppe der Sniebel mit schleifenden Krallen an ihnen vorbei rannten. Aber sie hatten sie zum Glück nicht entdeckt. Sie wartete noch einige Momente, bis sie sich sicher war, dass die wilden Pokémon weit genug weg waren, bevor sie erleichtert ausatmete. Ihr Leafeon hielt sie noch immer fest an sich gedrückt und strich ihm jetzt erleichtert durch das weiche Fell.

"Das war ganz schön knapp.", grinste sie, obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie jetzt am besten tun sollten. Nuri wusste, dass sich diese Unlichtpokémon am Tag zum Schlafen zurückzogen, also mussten sie sich so lange verstecken, bis der Morgen grauen würde. Allerdings gab es da noch ein Problem. Hier in dieser Höhle herrschte wahrscheinlich ewige Nacht und deshalb mussten sie außerdem auch noch den Ausgang ganz schnell wieder finden. Die Sniebel hatten wohl von ihrem Gepäck nicht allzu viel übrig gelassen, aber wichtiger war es jetzt sowieso erstmal, wieder heil hier heraus zu kommen.

"Na komm, finden wir einen Weg hier heraus." Die Trainerin setzte ihr Pokémon auf dem Boden ab und stand dann auf. Sie blickte sich um und versuchte angestrengt, sich zu erinnern, von wo sie gekommen war. Aber es war zwecklos. Wenn man auf der Flucht war, achtete man nun mal nicht auf den Weg. Also lief sie einfach in irgendeine Richtung los, ihr Leafeon folgte ihr tapsig.

Nachdem sie eine Weile gelaufen waren, bemerkte Nuri plötzlich, dass es in den Gängen immer heller wurde und sie anscheinend auf irgendeine Lichtquelle zusteuerten. Licht war immer eine gute Sache, also beschleunigte sie ihren Schritt noch und fand sich wenig später in einer großen Halle wieder, deren Decke offen war und somit das helle Mondlicht herein bat. Doch was weit interessanter und erstaunlicher war, war dieser riesige Käfig aus Eis, der in der Mitte dieser Halle stand. Ja, ein gläserner Käfig, anders konnte man dieses Gebilde, das auf keinen Fall auf natürliche Weise entstanden war, bezeichnen.

Die Schwarzhaarige und ihr Pokémon traten näher heran und versuchten, durch das Eis hindurch einen Blick auf das Innere des Käfigs zu erhaschen. Sumi gab einen erschrockenen Laut von sich, als sie den Gefangenen als ein anderes Pokémon, als ein Glaceon erkannte. Auch Nuri erkannte nun, welches Pokémon von den eisigen Mauern eingehüllt war.

"Ein Glaceon! Aber warum ist es hier eingesperrt...? Wer hat das getan?", fragte sie sich, während sie sich umblickte. Durch die Geräusche der beiden Reisenden wachte nun auch der einzige Bewohner dieses kalten Gefängnisses auf und blickte mit schwarzen, mysteriösen Augen durch das Eis hindurch direkt auf Leafeon, welches unter diesem Blick zusammen zuckte und leicht zurück wich. Nuri sah es fragend an. "Was hast du denn? Los, wir müssen es da raus holen!"

Nach kurzem Zögern nickte Sumi schließlich. Irgendwie fühlte es, dass an diesem Glaceon etwas sehr, sehr seltsam war. Aber es gehorchte den Anweisungen seines Trainers und brachte mit einer gezielten Rasierblatt-Attacke das Eis zum Splittern, sodass es nicht mehr lange dauerte, bis der Käfig in sich zusammen fiel und Glaceon befreit war.

Das Eispokémon kam mit langsamen Schritten auf Nuri und Sumi zu, hielt kurz vor ihnen an und machte eine Bewegung, die sehr an eine Verbeugung erinnerte. Wollte es sich so etwa bedanken? Nuri hockte sich auf den Boden und sah das blaue Pokémon lieb lächelnd an. "Bitte, gern geschehen. Uhm... du weißt nicht zufällig, wie wir am schnellsten zum Ausgang kommen?"

Es dauerte keine zwei Sekunden, da war Glaceon mit einem tiefen "Meo." auch schon losgelaufen, seine zwei Retter folgten ihm dicht auf den Fersen, um es in den dunklen Gängen nicht zu verlieren. Nur wenige Augenblicke später konnte man schon wieder Mondlicht erkennen, diesmal schien es durch den Höhleneingang, vor dem Nuri und Sumi ihr Lager aufgeschlagen hatten. Und das Empfangskommittee war ebenfalls schon da.

Die Sniebel schienen nur auf sie gewartet zu haben und von jetzt auf gleich hatten sie die kleine Gruppe auch schon wieder eingekreist. Und diesmal bequemte sich Snibunna persönlich dazu, ihre Opfer zu begrüßen. Mit einem zwielichtigen Blick kam es näher auf Nuri und die beiden Evoliformen zugelaufen. Seine Augen begannen zu leuchten, als es im Begriff war, eine mächtige Unlichtattacke gegen sie zu richten. Doch bevor es soweit kommen konnte, strahlte auf einmal ein gleißendes Licht durch die Dunkelheit und blendete die Angreifer. Nuri konnte sehen, dass dieses Licht in pulsierenden Wellen von dem Glaceon ausging, dass sich schützend vor Sumi gestellt hatte.

Und dann passierte etwas phantastisches. Das Licht wurde so grell, dass man nichts mehr außer Weiß erkennen konnte und als diese enorme Welle an Energie endlich langsam abebbte, stand an Glaceons Stelle ein junger Mann mit einem langen Umhang und ebenso langen, eisblauen Haaren. In der Hand hielt er einen Stab, an dessen Spitze ein Eiskristall schimmerte. Nur der typische Schwanz und die großen Ohren waren noch von der früheren Gestalt als Pokémon zurück geblieben. Der Fremde blickte auf das Snibunna herab, welches augenblicklich zurückgewichen war.

"Machst du schon wieder ärger?", die kraftvolle Stimme klang hoheitsvoll und gebieterisch. Und ohne noch irgendetwas anderes tun zu müssen, ergriffen die feindlichen Monster, allen voran Snibunna, die Flucht und verschwanden in der Höhle. Nachdem er sich sicher war, dass die Pokémon nicht zurück kommen würden, drehte er sich schließlich langsam zu Nuri und Sumi um. Er trat einen Schritt auf sie zu und verbeugte sich abermals. "Verzeiht, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Polaris. Ich bin euch zu großem Dank verpflichtet, weil ihr mich befreit habt."

Nuri war noch immer vollkommen verblüfft und konnte gar nicht glauben, dass sich gerade vor ihren Augen ein Pokémon tatsächlich in einen Menschen verwandelt hatte. Und Sumi schien genauso überrascht und noch ein wenig mehr erschrocken zu sein. Wie konnte sowas möglich sein? Vielleicht schlief sie auch noch? Um ganz sicher zu gehen, kniff sie sich einmal fest selbst in die Wange. "Autsch... also doch kein Traum...", wenig intelligent starrte sie den Mann, der sie um zwei Köpfe überragte, noch immer an.

Dieser schmunzelte nur, was Nuri irgendwie noch mehr überraschte, weil seine übrige Erscheinung vollkommene Kälte, Eis und Schnee ausstrahlte. Sogar seine Haut war leicht bläulich, wie die eines Erfrorenen. Man hätte einfach nicht erwartet, dass diese Person ein so freundliches Schmunzeln zu stande brachte, aber es war Tatsache. "Es tut mir leid, wenn ich euch erschreckt habe.", entschuldigte er sich noch immer leicht grinsend. "ähm... schon gut... schätze ich. Was genau... bist du?", brachte die Schwarzhaarige immer noch leicht verwirrt hervor.

Aber Polaris schwieg und wandte sich von der Trainerin ab. Er ging ein paar Schritte auf den Höhleneingang zu und blickte hinaus in den Schnee. "Die Sniebel scheinen dein Gepäck zum größten Teil unversehrt gelassen zu haben. Ihr wollt in die Stadt auf der anderen Seite des Berges? Ich werde euch begleiten." Seine Stimme hatte einen endgültigen Ton und Nuri wusste sofort, dass sie wohl keine Antwort auf ihre Frage bekommen würde und außerdem sagte ihr irgendetwas in der Stimme des Mannes, dass sie sein Angebot besser nicht ausschlagen sollte. Also lief sie schnell zu ihrem Lagerplatz, packte den Schlafsack und die übrigen Dinge zusammen und schulterte schließlich ihren Rucksack.

Ihr Blick fiel auf ihr Pokémon, das Polaris aufmerksam musterte, aber sicheren Abstand zu ihm hielt. Nuri legte verwirrt ihren Kopf schief. Sicher, ihr war dieser Mann auch nicht ganz geheuer, es passierte schließlich nicht jeden Tag, dass auf einmal ein Pokémon kein Pokémon mehr war, sondern ein Mensch. Aber so vorsichtig und fast schon misstrauisch kannte sie ihr Leafeon gar nicht. "Na komm.", sagte sie und nahm ihr Pflanzenpokémon auf den Arm.

Polaris benutzte den Eiskristall auf seinem Stab, um eine Art Schutzschild herauf zu beschwören, dass ihn und Nuri umhüllte und sowohl den Wind, als auch Schnee und Kälte von ihnen abschirmte. Ohne Mühe gingen sie auf der Schneeschicht entlang und dank Polaris ging es jetzt auch sehr viel schneller voran. Das ehemalige Eispokémon führte sie einen ihr unbekannten Weg entlang, der sich aber bald als sehr praktische Abkürzung erwies.

Der Morgen brach bereits an und die Sonne schimmerte am fernen Horizont, als auf einmal ein lauter, gellender Schrei die Stille durchbrach und die Reisenden zusammenfahren lies. Polaris richtete seinen Blick sofort auf den Gipfel des Eisberges, wo er einen bläulichen Schimmer erkannte. Ein erneuter Schrei folgte und lies Nuri abermals zusammenzucken. "Was ist das?!", rief sie erschrocken. "Schnell, weiter.", drängte der Mann eindringlich, er hatte Nuri am Arm gegriffen und sie einfach weitergezogen, seine Schritte beschleunigten sich, bis sie schließlich über den schneebedeckten Boden rannten.

Er warf einen schnellen Blick über seine Schulter, nur um zu sehen, dass der Schimmer den Gipfel verlassen hatte und jetzt in einer unglaublichen Geschwindigkeit immer näher kam. "Er kommt...!" "Was...!? Wer kommt?! Was ist hier überhaupt los?!!", schrie Nuri panisch, während sie ihm hinterher stolperte. "Vorsicht!!"

Noch bevor das Mädchen irgendwie realisieren konnte, was hier gerade passierte, wurde sie auch schon zur Seite gestoßen und fiel in eine Schneewehe. Vollkommen perplex beobachtete, wie sich ein riesiger blauer Vogel auf Polaris stürzte und wie es diesem nur knapp gelang, die scharfen Krallen mit seinem Stab abzuwehren. "Arktos...!", hauchte Nuri leise. Doch es war laut genug, um die Aufmerksamkeit des Vogelpokémons auf sich zu ziehen. Seine schwarzen Augen fixierten das Mädchen, als er sich von seinem eigentlichen Opfer abwandte und auf das Mädchen zuging.

"Du!! Mensch! Du hast ihn frei gelassen!!", krächzte er. Nuris Augen weiteten sich, als sie zum zweiten Mal Zeuge einer Verwandlung wurde. Die riesige Gestalt wurde kleiner, wurde menschlich aber ihre Ausstrahlung blieb genauso imposant wie vorher. Vor Nuri stand nun ein sehr hochgewachsener, kräftiger Mann mit eiskalten Augen, einem Umhang aus Eisfedern und einem mächtigen Zepter in der Hand. "Du hast es gewagt, ihn zu befreien!!", er richtete das Zepter auf Nuri und seine Stimme war so gewaltig und hallend, wie der Wind selbst.

Doch bevor er zum Angriff übergehen konnte, stellte sich Polaris schützend vor die Trainerin und ihr Pokémon. Er sah seinen Gegenüber fest an, nicht bereit, zurück zu treten. "Rühr sie nicht an, Vater." Kurz hielt der kräftigere und ältere Mann nur inne, bevor er dann schließlich sein Zepter auf seinen Sohn richtete. "Wer bist du, mir Befehle zu erteilen?! Ich werde dich wieder in deinen Käfig sperren, noch tiefer im Berg, sodass du niemals in der Lage sein wirst, meine Macht zu gefährden!"

Aber auch unter diesen heftigen Worten wich Polaris keinen Zentimeter zurück, im Gegenteil, sein Blick wurde nur noch entschlossener. "Ich lege überhaupt keinen Wert auf deine Macht. Lass uns gehen... lass mich gehen! Lass mich diese Hölle aus Eis endlich verlassen!"

Es hatte sich eine eiskalte Stille über beide Kontrahenten gelegt. Nuri traute sich kaum zu atmen, während sie dieses unglaubliche Schauspiel mit ansah. Ein gleißendes Licht lies sie ihre Augen zusammenkneifen. Aus dem Rücken des größeren Mannes brachen riesige blaue Schwingen und er begann sich wieder zurück zu verwandeln. Mit zwei kräftigen Flügelschlägen war das Arktos wieder vom Boden abgehoben und hatte sich nach oben in den Himmel gestoßen. "Verschwinde von hier!!", kreischte es seinem Sohn zum Abschied entgegen, bevor es in den Wolken verschwand.

Polaris drehte sich nach einigen Sekunden schließlich zu Nuri um, die immer noch erschrocken ihr Pokémon umklammert hielt, und half ihr wieder auf die Füße. "Was...? Ich verstehe nicht... was ist hier eigentlich gerade passiert?", sie war vollkommen verwirrt. Der junge Mann seufzte kurz erleichtert und lächelte sie dann beruhigend an. "Das Arktos ist mein Vater, Borealis, der Nordwind. Er ist der König des Eisberges und hatte mich eingesperrt, weil er um seine Macht fürchtete.", erklärte er ganz ruhig.

"Der König...!!", sagte Nuri erstaunt, "... dann bist du der Prinz!! Und du bist jetzt frei...?" Polaris nickte bestätigend. "Ja, endlich. Nach so langer Zeit. Und das habe ich euch zu verdanken.", abermals lächelte er und streckte eine Hand aus, um Sumi kurz dankbar über sein Fell zu streichen. Aber das Pokémon fauchte ihn nur an, weswegen er die Hand schnell zurück zog und Sumi einen seltsamen Blick schenkte. Nuri sah verwundert auf ihren Freund, schmunzelte dann aber und strich ihm über die Ohren.

"Es ist ein wenig schüchtern, aber das wird schon.", grinste sie. "Verstehe.", meinte der Prinz nur, seine Stimme hatte dabei jedoch einen mysteriösen Unterton. "Und was hast du jetzt vor... ich meine, wo du jetzt doch hingehen kannst, wohin du willst?", fragte die Trainerin neugierig. Polaris machte kurz einen nachdenklichen Eindruck, allerdings hatte seine Entscheidung schon festgestanden, bevor Nuri die Frage zuende gesprochen hatte. "Ich denke, ich werde euch eine Weile begleiten.", antwortete der Eisprinz und schritt lächelnd voran.