Wettbewerb Nr.16: (Un) Happy Ending?

„Sag mir verdammt noch mal sofort, warum meine Mutter sterben musste!“
Um das verlassene und zerstörte Gebäude der Fuuka Akademie waberten unheimliche Nebel, weiß glühend im Licht einer dunklen Nacht. Kalte Schatten hausten dort, wo noch vor wenigen Monaten Schüler eifrig gelernt, gelebt und gelitten hatten. Es war Vollmond, wie es immer war in dieser Welt, und der kleine rote Stern, den nur zwölf Auserwählte sehen konnten, leuchtete neben dem weißen Nachtgestirn. Alles war leblos.
Fast alles.
In den Ruinen der kleinen Internatskirche, die sogar noch vor dem Jahrtausendkrieg, der alle Welten mit einbezogen hatte, stillgelegt worden war, spielte sich eine schon lange nicht mehr aufgeführte Szene ab.
„Sprich endlich, Nagi, du Hundskopf!“
Wut kochte in Natsuki auf, und das Mal, das sie als HiME kennzeichnete, glühte auf, als aus dem Nichts in ihrer rechten Hand eine kugelförmige Pistole erschien.
Sie hatte doch unmöglich so viel durchgemacht, um jetzt wieder vor diesem kleinen Mistkerl zu stehen, der sie nur wissend angrinste, wie er es immer tat. Sie war Mitglied des Ordens der Metallrose geworden, um endlich das aus dieser Welt zu vertreiben, was zwischen ihr und dem stand, der für den Tod ihrer Mutter verantwortlich war. Auch wenn sie sich dieses Schicksal, genau wie das, eine HiME zu sein, nicht selbst ausgesucht hatte: Die Silberne Königin, die letzte der Gründer des Ordens – alle anderen waren von einem Verräter aus ihren eigenen Reihen hinterhältig ermordet worden, und auch sie hatte nur weitergelebt, weil sie ihren sterbenden Geist an ein Wandgemälde aus alter Zeit gebunden hatte – war durch alle Welten gereist und hatte jeden angeheuert, der in den jeweiligen Dimensionen das Gute – in ihrem Fall die zwölf HiME – verkörperte; so wie es auch jener Verräter getan hatte, nur eben mit dem Bösen – die Ourphans und die leitenden Organe des First District. Es war ein endlos scheinender Kampf gewesen, die geballte Kraft des Guten gegen die Mächte des Schlechten. Ein Kampf um ein geheimnisumwobenes Buch aus der Welt der Silbernen Königin und des Verräters, von dem die Mitglieder des Ordens nur so viel erfahren hatten, dass es als der „Codex“ bezeichnet wurde. Und der schließlich in einer letzten großen Schlacht zwischen den Dimensionen gegipfelt hatte, wobei der Codex zerstört worden war und sich seine Seiten über die Welten verteilt hatten. Viele waren dabei gestorben, unter anderen auch vier HiME, aber es war ihnen doch gelungen, gegen die dunklen Mächte zu bestehen… In der einen Welt hatten sie die Bedrohung der Menschheit durch die Diclonius eingeschränkt, in der anderen hatten sie an der Seite der Magic Knights die wiedererstarkte Debonair zurückzuschlagen. Und in dieser Welt die Ourphans ausgelöscht, ebenso wie den dubiosen First District.
Natsuki ballte die Faust um ihre Waffe. Der First District. Jahre hatte sie sich erträumt, diese Organisation zu zerschlagen, und nun war es ihr durch den Orden endlich gelungen. Anders als manch andere HiME, wie Mai oder Mikoto, die sie von allen am meisten gemocht hatte, war sie nicht beim Orden geblieben, um nach den Seiten des Codex zu suchen und einen kommenden Krieg um ihn zu vermeiden – obwohl sie sich insgeheim sicher war, dass daraus doch nur wieder ein Kampf erstand. Es war weniger wegen ihrem Pflichtgefühl, dass sie zurückgekommen war, denn nach der Vernichtung der Ourphans, für deren Bekämpfung die HiME überhaupt auserwählt waren, hatte sie hier keine Aufgaben mehr, die sie auszutragen hatte. Wobei das nicht ganz stimmte, denn sie hatte immer noch eine Rechnung offen… Sie wünschte sich Rache!
„Hey, nun sei nicht so aufdringlich, Natsuki-chan“, gab Nagi von sich zu hören und hob betont lässig die Schultern.
„Du sollst mich nicht so nennen!“ Ihr Ruf hallte in der verfallenen Kirche wider. Ihr langes, dunkelblaues Haar, das sie auch während Metallrosen-Zeiten nicht gekürzt hatte, wallte zornig, und sie bebte vor Wut. Duran, der riesige, graue Wolf, ihr treues Child, stand neben ihr und knurrte bedrohlich – Nagi wusste genau, dass es nur eines Befehls Natsukis bedurfte, um ihn mit messerscharfen Eissplittern zu durchsieben, wie es auch mit hunderten von Ourphans und anderen Bestien geschehen war.
Doch der Bastard blieb wie immer gefasst, und das hasste sie so an ihm: „Ich weiß wirklich nicht, was mit Saeko passiert ist.“
Nun war es Natsuki genug. Sie hatte sich doch nicht zwei Wochen in den umliegenden Städten durchgefragt, um zu erfahren, dass er immer noch regelmäßig in dieser Kirche erschien, nur um dann so abgespeist zu werden! „Lügner!“, brüllte sie und schoss ab, zielte dabei aber genau. Das Projektil sprang wie Eis klirrend und blau aufblitzend vom Boden direkt zu Nagis Füßen ab, und endlich wich dieser geschlagen zurück und gab, zumindest für diesen Moment, seine Coolness auf. Sie musste unwillkürlich grinsen; er mochte sich zwar aufführen, als könne ihn nichts erschüttern, aber wenn sie ihn auf diese Weise bedrohte, wurde ihm – wie es auch schon vorher gewesen war – doch plötzlich die Zunge locker. Und selbst wenn nicht, würde sie ihn nicht sofort erschießen, denn nach der Auflösung des First Districts war er der einzige, der die Wahrheit wusste. Ebenso wusste er jedoch auch, dass sie sehr schnell ernst machen konnte, wenn sie wollte.
„Na gut, na gut, ich werde ja singen.“ Er gewann seine Haltung zurück und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Du willst also wissen, warum Saeko sterben musste? Natsuki-chan, du bist eine HiME!“
Genervt zog sie die Augenbrauen zusammen. Dass sie eindeutig eine war, konnte man schließlich nicht nur an ihrer Waffe oder an dem Wolf erkennen, der ihr zur Seite stand. Wollte er etwa damit sagen, dass sie die Wahrheit längst schon selbst hätte herausfinden müssen, indem sie ihre Kräfte einsetzte? Aber genau das hatte sie doch immer schon getan, wie diese Situation eindrucksvoll bewies – ansonsten hatte sie ihr HiME-Dasein immer verheimlicht. „Lenk nicht vom Thema ab!“, drängte sie ihn schließlich weiter. „Das tue ich doch gar nicht.“ Sein Grinsen wurde breiter. Mit desinteressiertem Blick seiner weinroten Augen betrachtete er Duran, der knurrend bei ihr stand, jederzeit zum Angriff bereit. Unwillkürlich musste Natsuki sich fragen, warum nicht auch er bei dem Jahrtausendkrieg ums Leben gekommen war wie manch einer ihrer frühren Bekannten. Leider war das Glück aber immer mit den Dummen. Mit nun wieder völlig ruhiger Stimme fuhr er fort: „Du hattest immer schon recht, was den Autounfall betrifft. Er war inszeniert. Deiner Mutter war er jedoch nicht gewidmet.“
Ungläubig ließ Natsuki die Pistole sinken. Duran knurrte lauter, und das Geräusch brachte die Luft zum vibrieren. „Was… was hast du gesagt?“, flüsterte sie fassungslos, und ihre ohnehin schon vor Entsetzen geweiteten Augen wurden noch größer. Wenn es stimmte, was Nagi ihr eben gesagt hatte – und darauf konnte sie sich ohnehin nur zur Hälfte verlassen – dann war nicht ihre Mutter Opfer des Unfalls gewesen, sondern sie. Eigentlich hätte sie, die damals noch so naive und sich über ihre Kräfte gar nicht bewusste HiME, dabei sterben müssen. Der First District hatte geplant, sie loszuwerden, als unschuldiges Kind, bevor sie zur Gefahr wurde. „Ist das… wahr?“
„Natürlich.“ Nagi machte eine wegwischende Handgeste, wie um ihre Zweifel beiseite zu räumen. „Wobei…“ Er tat so, als müsse er angestrengt über etwas nachdenken, lächelte aber verschmitzt, als er ihre hoffnungsvolle Reaktion bemerkte. „Vielleicht war da ja noch mehr? Saeko hat den District systematisch ausspioniert und geheime Akten auswendig gelernt bis zum letzten Punkt. Sie wusste Dinge über ihn, die nicht einmal den Vertretern des Präsidenten vertraut waren. Vielleicht wollten sie nur, dass sie schweigt? Jedenfalls haben sie es geschafft.“
Eine Weile herrschte Schweigen in der Kirche. Jedoch nicht die andächtige Ruhe, die einmal, vor ewigen Zeiten, wie es schien, gewesen war zu Gebeten und Beichten, sondern eine absolute Stille wie in einem Grab. Wie auf einem ausgewachsenen Friedhof, auf dem noch nicht einmal Tote begraben lagen.
„Wer… ist der Verantwortliche?“ Natsuki musste einen Kloß im Hals runterschlucken, um sprechen zu können. So hilflos wie jetzt hatte sie sich nicht mehr seit dem Tod ihrer Mutter gefühlt; diese Schwäche hatte sie sich nie erlaubt. Es war unerträglich für sie, so nahe dran zu sein, sich an diesem Menschen zu rächen, und dabei von einem Krautsalat wie Nagi abhängig zu sein. Eigentlich könnte ich den Orden fragen…, überlegte sie, verscheuchte diesen Gedanken jedoch. Das konnte sie den anderen Mitglieder nicht antun, nachdem sie gegangen war, um – eigentlich – auf eigene Faust nach dem Verbrecher zu suchen, nur um jetzt wieder reumütig wie ein geschlagener Hund zu ihnen zurückzukehren, nur weil sie erkannte, dass es draußen regnete.
„Jemand, der mehr mit dir gemeinsam hat, als du denkst, Natsuki-chan.“ Nagi genoss sichtlich die Rolle, die er für sie einnahm, einfach nur um des Triumphgefühls willen. Doch es war sein Stil, sich nun umzudrehen und sich einem zerbrochen und erbleichten Buntglasfenster zu nähern, um sie mit Duran allein zu lassen.
„Warte! Wie ist sein Name?“ Er konnte doch jetzt nicht einfach so gehen, ohne ihr dieses letzte kleine Detail gesagt zu haben!
Ohne innezuhalten sprang Nagi auf das Fensterbrett. Wie ein schlechter Pokerspieler, der gerade ein gutes Blatt auf der Hand hat, sah er sie von oben herab und mit gewinnendem Grinsen an. „Irgendeinen Namen wird er schon haben. Einer davon ist Kuga.“ Ohne ein weiteres Wort sprang er aus dem Fenster.
Natsukis Entsetzen wandelte sich in puren Schock um. Dieser hinterhältige Ziegenbock! Sie rannte aufs Fenster zu. Hektisch warf sie suchende Blicke in den Nebel. „Was soll das bedeuten? Antworte mir!“, schrie sie ihm hinterher, doch er war nirgends auszumachen. Wenn sie ihm doch nur noch mal ihre Pistolen hätte schmecken lassen! Doch ihre Gedanken kehrten schnell zum Wesentlichen zurück – zu dem, was er ihr gerade eröffnet hatte: Kuga?, dachte sie und erschauderte. Verdammt, das ist mein Familienname!
„Hey, Natsuki-chan.“ Sie sah auf und entdeckte den kleinen Dreckssack durch den Nebel in einem der kahlen Bäume, auf einem Ast stehend und – wie in alten Zeiten – ein Buch auf dem Kopf balancierend. „Lass mich dir einen gut gemeinten Rat geben: Auch wenn der First District nicht mehr existiert, solltest du dich besser vorsehen, mit wem du dich anlegst.“ Er drehte sich um, winkte ihr mit zwei Fingern, gab noch ein kesses „See ya!“ von sich und verschwand im Nebel.
Ihr Ruf verklang laut und tausendfach gebrochen in dem Wald toter Bäume, verschluckt vom Nebel, ungehört vom Mond und dem roten Stern: „NAGI!!!“
Von einer plötzlichen schlechten Vorahnung überwältigt heulte Duran auf.
Nur einen Augenblick später verging die Kirche, oder zumindest das, was von ihr übrig war, in einer vernichtenden Explosion.
Das gelbliche Licht spiegelte sich unheimlich im Rot seiner Augen. „Da waren´s nur noch elf…“

Ich spürte, wie der Zauber mir Kraft verlieh, versank völlig in den geheimnisvollen Untiefen meiner Seele. Mir kam es vor, als würde mein Geist wachsen, mein Verstand schärfer werden und meine Aura grau wie Stahl. Es war, als wäre ich nicht mehr… ich. Als verlöre ich mich selbst in mir. Das war das Gefährliche an der Magie. Man konnte nicht kontrollieren, wie sehr sie einen veränderte. Sie stärkte einen nicht körperlich, sondern geistig. Äusserlich war man derselbe, doch innerlich wuchs alles, wurde intelligenter und bösartiger. Man nahm keine Rücksicht mehr, zerstörte den anderen nicht mit roher Kraft, sondern mit List und Verstand. Bei solch einer magischen Verwandlung musste man wirklich höllisch aufpassen, sich selbst nicht zu verlieren. Wem das geschah, der verschwand auf ewig. Was dann mit ihm geschah, wusste niemand. Denn noch niemals war irgendjemand wieder zurückgekehrt. Damit mir das nicht geschah, konzentrierte ich mich nur auf meine Verwandlung. Sie konnte beliebig gestoppt werden, doch das war einfacher gesagt als getan. Das Zunehmen der Intelligenz und der List war wie ein Rausch. Man vergass alles Restliche um sich herum und gab sich ihm völlig hin. Es bedarf einer enormen Willenskraft, sich vor dem endgültigen Aus dem Delirium zu entziehen. Aber das musste sein, schliesslich war das die einzige Chance, nicht im Nichts zu enden. Mir fiel es sehr schwer, und ich wollte nicht wissen, wie schwer es mir gefallen wäre ohne das Training, welches ich nun seit einem Jahr nur für diese Aufgabe vollzogen hatte. Ich konzentrierte mich, strengte mein nun überdimensionales Gehirn so sehr an, dass es mir fast Kopfschmerzen bereitete, und dann riss ich mich aus meiner Trance.
Der Einbruch der Realität war wie ein Sprung ins eisige Wasser für mich. Und doch wusste ich noch alles, jedes noch so kleine Detail, erinnerte mich an den Dämon und seine Druckwelle, an das Tor, an Cora und an diese seltsame, verschleierte Welt. Doch nun war etwas anders. Meine Sinne waren geschärft worden, so dass ich nun jeden Atemzug meines Feindes deutlich wahrnahm, ebenso wie sein bösartiges Grinsen, selbst durch die dicken, grauen Nebelschwaden hindurch. Er hatte meinen Körper in der Zwischenzeit nicht angegriffen, da er gar keine Möglichkeit gehabt hatte. Denn während ich meine magische Verwandlung durchgezogen hatte, war in der Dämonenwelt die Zeit stehengeblieben. Das war ein Schutzmechanismus, damit der Feind alles gar nicht mitbekam. Ohne ihn würde wohl niemand die Trance überleben. Und plötzlich, ohne jegliches Anzeichen dass es so kommen könnte, rannte das Biest auf mich zu. Doch dank meiner neuen Wahrnehmung war ich schnell genug, ihm auszuweichen. „Nicht schlecht, Kleiner“, meinte das Monster. „Doch was hältst du vom Infernoregen?“
Ich erstarrte, während er in ein irres Lachen verfiel. Niemals hätte ich erwartet, dass ich hier nicht irgendeinen Dämon vor mir hatte- es war ihr König höchstpersönlich. Denn nur er war in der Lage, die gnadenloseste, schmerzhafteste und einfach nur grauenvollste der magischen Attacken zum Einsatz zu bringen. Es war das Grauen eines jeden Wesens, jemals von diesem Angriff getroffen zu werden. Denn kein Schmerz war damit vergleichbar, mit dieser unheimlichen Folter, die einen vor Grausamkeit blind und taub werden liess. Eine Welle der Angst brach über mich herein, während ich trotz meines übernatürlich scharfen Verstandes unfähig war, mich zu bewegen. Langsam schloss ich die Augen und wartete auf mein Schicksal.
Doch es kam anders, als ich gedacht hatte. Ich hörte eine laute Stimme, die eindeutig nicht dem Dämonenkönig angehörte, sie war etwas höher, aber dafür viel kraftvoller. „Tun Sie ihm nichts Gebieter“, flehte die Stimme. „Er trägt eine wichtige Nachricht bei sich, das fühle ich“. Er senkte seine Stimme. „Ich werde ihm nichts tun, ebenso wenig wie Ihnen, doch bitte, lassen Sie ihn ausreden. Ich spüre, es ist wichtig.“ Ich öffnete meine Augen. Neben mir, dem König gegenüber, stand ein anderer Dämon. Er sah sanfter aus als sein Herr, doch auch er hatte den Ausdruck eines wilden Tieres, der ihm ein gefährliches Aussehen verlieh. Ich dachte an Coras Worte und wusste, wer das war. Ich fasste mich kurz und bündig und fragte ohne grosse Umschreibungen, an den Sanfteren der beiden gewandt: „Wirst du mir deine Kugel der Macht aushändigen?“ In seinen grauen Augen blitzte ein bejahendes Funkeln auf und er nickte. „Ich habe es geschafft“, dachte ich glücklich. Ich hatte den Dämonen gefunden, der mir sein Zeichen der Dunkelheit geben würde. Nun würde Coras Stamm mich aufnehmen, ich war gerettet.
Doch der Höchste aller Dämonen machte mir einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. „Ihr wagt es, euch ohne meine Erlaubnis mir zu wiedersetzen? Mir, dem Herzstück unserer Welt? Ein einfacher Menschenjunge und ein wertloser Untergebener, der eine gute Tat vollbringen will? Pah! Das werde ich nicht zulassen! Ich werde euch vernichten!“ Und er begann zu leuchten, in einem seltsamen Orange. Es breitete sich weiter aus und umspielte die Dornen, Bäume und Giftpflanzen, liess sie strahlen in einem wunderschönen Ton. Es wäre ein unglaubliches Bild gewesen, hätten wir uns nicht in Todesgefahr befunden. Denn langsam band sich das Licht, dass es war wie ein einziger, glühender Ball aus Stahl. Es wurde immer grösser und grösser, bis es fast zu platzen schien. Ich war geblendet von der gleissend hellen Strahlung. Ich konnte mich erneut nicht aus meiner Starre lösen, war wie gebannt. Ich beobachtete das Schauspiel, wie sich das Licht plötzlich in rasender Geschwindigkeit in den Himmel bewegte. Dort gab es eine Explosion- und der Himmel war in ein leuchtendes orange getaucht. Die zuvor noch grauen Wolkenschwaden schimmerten nur in einer auffallenden, bedrohlichen Farbe. Und dann schossen Feuerbälle daraus hervor. Hunderte und Aberhunderte von Flammenkugeln regneten herab. Der König hatte sich in Luft aufgelöst. Der andere Dämon und ich waren die einzigen, welche vom Infernoregen betroffen waren. Einer von den meteoritenähnlichen Gebilden flog direkt auf meinen Verbündeten zu. „Vorsicht!“, wollte ich rufen, doch es war zu spät. Er wurde genau getroffen, wurde begraben unter dem Ball aus glühend heissen Flammen. Ich hörte ihn schreien, wollte ihm helfen, doch ich konnte nicht. Noch immer war ich erstarrt. Ich sah hinüber, erkannte, dass er brannte, und konnte ihm doch nicht helfen. Als erneut eine Feuerkugel auf ihn niederprallte und er erneut einen Schmerzensschrei des Todes hören liess, wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich versagt hatte. Ich hatte versagt. Versagt… Dieses Wort verursache einen unheimlichen Schmerz in mir. Es war, als risse es mir mein Herz aus der Brust. Ich hatte Cora enttäuscht, ebenso wie ihren Stamm. Ich hatte diese Aufgabe für nichts und wieder nichts angenommen, hatte die gefährliche Verwandlung umsonst vollzogen. Ich hatte denjenigen gefunden, der mir geholfen hätte. Doch der lag nun unter Höllenqualen im Sterben. Meine scharfen Sinne halfen mir nun auch nichts mehr. Ich hatte es verdient, im Infernoregen schmerzvoll ums Leben zu kommen. Ich hatte es verdient, zu brennen, vor Schmerz zu erblinden. Alles geschah mir recht. Denn ich hatte versagt. Auf der anderen Seite wartete Cora auf meine Rückkehr, doch ich würde niemals wieder auf die andere Seite kommen. Ich hob meinen Blick gen Himmel und sah einen Feuerball auf mich zukommen. Ich schloss die Augen und hielt mir die letzten Augenblicke meines Lebens vor Augen, bewegte mich nicht. Ich hatte die Schmerzen verdient. Denn ich hatte versagt.

Erneut ist das Nichts unter mir, doch dieses Mal bin ich mir sicher Gott würde mich sterben lassen.
Nach all den Geschehnissen der letzten Wochen, gab es einfach keine andere Möglichkeit für den Herrn im Himmel, mich von der irdischen Welt zu erlösen. Ich habe meine Freunde ins Verderben gestürzt, habe meine Familie im Stich gelassen und sogar Menschen getötet. Ich habe meinen Glauben an das Gute in mir und den Menschen verloren. Ja, sogar den Glauben an Gott habe ich fast gänzlich aufgegeben.
Doch warum? Warum ich? Warum werde ich zur Marionette des Teufels, und nicht etwa die Schwerverbrecher in den Gefängnissen? Oder erlitten Sie alle dasselbe
Schicksal wie ich?
Ich kann nur Vermutungen aufstellen, wissen werde ich es nie. Es ist mir aber in diesem Moment auch egal, denn ich will die letzten Minuten meines armseeligen Daseins, sicher nicht mit dem Gedanken des Warums verbringen. Nein, das ist sicherlich nicht mein Wunsch. Ich möchte eben diesen Augenblick genießen. Wer weiß denn schon was mit mir passiert, wenn ich erst einmal tot bin?

Ich spüre, wahrscheinlich ein letztes Mal, den Wind wehen und heute gibt das tiefe Tal sogar den Blick auf den Bach frei. Er hatte sich im Laufe der Jahrhunderte in die Landschaft gefräst, so muss dieses Tal entstanden sein. Es ist kein Nebel da, nicht so wie in dieser Nacht, in der ich mich selbst ins Unglück stürzte. Wäre ich doch bloß nie in dieses Gotteshaus geflohen, wäre ich doch einfach weitergelaufen. Doch das habe ich nicht getan.
Etwas Nasses läuft meine Wange hinunter. Weine ich? Oder ist es Regen? Noch ein Tropfen rinnt nun über meine rechte Gesichtshälfte. Ich denke schon ich weine, doch da spüre ich den Regen auf meiner Haut. Traurig bin ich trotzdem.
Ich versuche die Tränen zu verdrängen. Probiere es die Trauer mit Wut oder gar Reue zu ersetzen. Es hilft nicht. Ich beginne nun doch zu weinen.
Die Tropfen fühlen sich warm an und für einen Moment habe ich ein angenehmes Gefühl und bin befreit von all meinen Sorgen und Ängsten. Diese Emotionen müssen der Scham, dass ich glücklich bin nach all den Dingen, die ich der Welt angetan habe, aber sofort wieder weichen.

Ich stehe also nun da, auf dieser Brücke und warte. Warte auf den Moment, der mir das Leben nimmt, der mich von dieser materiellen Welt befreit. Vergebens. Der Wind ist verschwunden, der Regen ist mit samt den Gewitterwolken verflogen und der Mut, den Schritt doch selbst zu wagen, ist auch noch nicht eingetroffen. Ich weiß nicht wie lange ich dort oben schon stehe. Eine Stunde, vielleicht mehr, vielleicht weniger oder etwa den ganzen Tag? Mir ist es egal, solange die Erlösung noch kommt.
Plötzlich erfasst mich ein Windstoß. Mein Ende? Egal. Ich lasse mich einfach tragen. In welche Richtung? Ich weiß es nicht. Ich schaue gar nicht. Falle ich schon? Nein, das glaube ich nicht. Doch ich merke, ich bin noch immer in Bewegung. Also muss ich fallen. Ich öffne die Augen.
Unter mir, Pflastersteine. Ich sehe mich um. Die Brücke liegt hinter mir. Aber wie?
Ein paar Männer haben mich von dort runtergezogen. Wut steigt in mir auf und ich beschimpfe sie wüst. Sie wundern sich, machen sich Sorgen, wollen mir helfen. Ich lehne ab und möchte zurücklaufen. Zurück auf das Geländer klettern. Die Männer hindern mich daran. Ich flüchte. Nicht auf die Brücke. In die Stadt hinein.

Wieder ist da dieses blöde Schaufenster. Es ist wie in dieser Nacht, denn noch immer steht diese Musterfamilie vor ihrem Haus. Dieses Mal steigt in mir keine Wut auf. Nur die Sehnsucht nach meiner eigenen Familie.
Sollte mir das Sorgen bereiten? Und wenn schon. Ich setze meinen Irrlauf fort. Ich streune zwischen den Straßen hindurch. Und innerlich weiß ich, dass ich mich mit jedem Schritt der Kirche nähere. Und dann sehe ich sie.
Und wieder ist die Flügeltür halbgeöffnet und erneut zieht mich die warme Aura des Gotteshauses in seinen Bann. Wie die Motten in das Licht.
Ich setze mich in die vorderste Reihe. Ich bete nicht. Ich sitze einfach nur da. Sehe mich um. Wieder stehen Kerzen um den Altar, erleuchten den Raum und ein altes vergilbtes Buch. Die Bibel.
Es dauert nicht lange und der Pastor betritt den Raum. Ich möchte ihm sagen, in welches Unglück er mich gestürzt hat, ihm mitteilen welche Qualen ich erlitten habe, ihm ordentlich die Meinung sagen, doch dazu komme ich nicht.
Er spricht zuerst.

„Verschwinde aus diesem Haus Gottes. Du bist nicht länger eines seiner Kinder. Du hast gesündigt, doch deine Sünde lässt sich nicht wieder gutmachen. Du hast den Pakt mit dem Teufel selbst geschlossen, ja, du allein bist Schuld an deinem Schicksal. Nur du. Und nun schau zu, dass du abhaust.“, entgegnet mir der Geistliche. Ich gehorche. Wie recht er doch hat. Ich flüchte erneut, wie in jener Nacht und wieder finde ich Unterschlupf in der alten Ruine. Nur heute ist etwas anders. Ich will nicht hierbleiben. Fühle mich unwohl. Etwas treibt mich weg von dort. Raus aus der Stadt zurück auf die Brücke. Und erneut muss ich feststellen, dass ich nicht der Herr über meine eigenen Füße bin. So muss ich mit ansehen wie ich auf das Geländer klettere.

Wieder stehe ich dort oben. Nur etwas ist dieses Mal anders. Ich habe nicht die Gewalt über meine Beine. Ich würde sogar behaupten, ich bin Gefangener in meinem eigenen Körper. Er ist nur eine Hülle für meinen Geist und so weiß ich, dass das Materielle nichts wert sein kann und der eigene Geist das Kostbarste auf dieser materialistischen Welt sein muss.
Ich beginne zu weinen und endlich auch zu bereuen. Aber vor allem wird mir klar, dass ich nichts wert bin und alle meine Mitmenschen enttäuscht habe. Ich bin unwichtig und ein schrecklicher Mensch. Ich habe sogar meinen Glauben verloren, in der Hoffnung glücklich zu werden. Doch es ist nur noch schlimmer gekommen und so endet meine Geschichte hier.

Mir ist alles egal. Ich lasse los, lasse mich treiben, der Wind zerrt an meinen Gliedmaßen. Dieses Mal zerrt er mich aber in den Abgrund. Ich bin mir sicher. Und zum ersten Mal in meinem erbärmlichen Leben, lächle ich und bin glücklich. Endlich werde ich erlöst und dabei ist mir das Wie und warum egal. Auch, dass ich viel zu früh sterbe. Mir egal.

Ohne weiter Zeit zu verlieren, legte ich meine beiden Handflächen übereinander und stieß diese mit einem lauten Aufschrei gegen den staubigen Boden. „Terji stao!“
Kaum hatten die Worte meine Lippen verlassen, begann der Erdboden unter meinen Füßen zu vibrieren. Keine Sekunde später schoss unter dem Dämon ein riesiger Steinspeer hervor, der blitzartig in die Höhe wuchs, und dabei eine gräuliche Staubwolke aufgewirbelte, die mir den Blick auf meinen Gegner nahm. Innig hoffte ich, mit diesem Angriff den Feind endgültig beseitigt zu haben, doch die Chancen standen eins zu einer Millionen. Das Erste, was mir während meiner Magierausbildung eingeschärft wurde, war es, nie einen Dämon zu unterschätzen.

Hastig machte ich einige Schritte zurück, meinen Blick wachsam in die Richtung gerichtet, in der ich den Dämon vermutete. Die Staubwolke begann sich zwar allmählich wieder zu lichten, aber von dem rotäugigen Wesen war noch immer keine Spur zu entdecken.
Schließlich blieb ich stehen und faltete meine Hände zusammen, um einen Abwehrzauber vorzubereiten. Meine Hände zitterten… Nein, mein ganzer Körper zitterte. Angst und Nervosität. Kein Wunder, immerhin war mein Gegner ein Dämon und diese gehörten zu den gefährlichsten Wesen überhaupt.

Plötzlich spürte ich, wie etwas nach meinen Beinen griff. Entsetzt wollte ich aufspringen, doch das war im Moment nicht möglich.
„Richtig langweilig“, hörte ich wieder diese raue Stimme, „Ist doch uninteressant, wenn ihr Menschen den Namen eines Zauber schon im Vorhinein herum brüllt. Kleiner Tipp: Ich kann fliegen!“
Aus dem Augenwinkel, erkannte ich zwei aus dem Erdboden ragende Hände, welche meine beiden Beinen gepackt hatten. Scheinbar war der Dämon unter der Erde… Schluck, höchste Zeit, etwas zu unternehmen!

Ich wollte meine Handflächen wieder überkreuzen, als unerwartet der Druck von meinen Beinen abließ. Stattdessen packte das Wesen meinen rechten Arm und zerrte diesen hinter meinen Rücken. Seine andere Hand legte er hingegen auf meine Schulter.
„Ihr Menschen braucht doch beide Hände, um Magie zu verwende, oder? Vielleicht wird es lustiger, wenn ich dir eine Hand abreiße“, lachte er mir nun ins Ohr, worauf ein stechender Schmerz durch meine rechte Hand zuckte.
„Unterschätze…“, murmelte ich und ballte meine linke Hand zu einer Faust, „…nie einen Magier, der noch über eine Hand verfügt.“ Schließlich öffnete ich ohne weitere Vorwarnung meine Faust, aus der plötzlich einige leuchtende Kugeln heraus stoben, welche in Sekundenschnelle in das Gesicht des Dämons schossen und dort explodierten. Ein überraschter Aufschrei war die Folge. Das war wohl mein Stichwort.

Ohne zu zögern trat ich dem Dämon in die Magengrube, befreite mich aus seinem Griff und entfernte mich hastig einige Schritte von ihm. Kaum genug Abstand gewonnen, überkreuzte ich meine beiden Zeigefinger und schrie: „Terji stao!“
„Pff, es hat keinen Sin mich mit Erdmagie anzugreifen“, knurrte der Dämon, der sich mittlerweile wieder gefangen hatte und sprang mit einem Satz in die Luft. Darauf hatte ich gewartet. Mit einem Ruck zog ich meine Hände auseinander und wartete.
„Das hat alles keinen Sinn…“, grunzte mein Gegner spöttisch, unterbrach jedoch, als er plötzlich von einer Windböe erfasst wurde. Er wurde wieder zu Boden geschleudert, gleich darauf erneut von einer Windböe erfasst und weiter zurück geschleudert.

„Terji stao!“, rief ich, diesmal jedoch legte ich meine Handflächen übereinander und schlug auf den Boden. Wieder erbebte der Grund und kaum das sich der Dämon versah, krachte er rücklings in die Steinsäule, welche hinter ihm hoch geschossen war. Doch damit war es noch nicht erledigt. Nun ballte ich meine Hände zu Fäusten und drosch wieder gegen den Erdboden, wobei ich leise murmelte: „Oru terji.“ Die Erde begann noch stärker zu vibrieren als zuvor und keine Sekunde später, krachte die eine Steinsäule in sich zusammen und begrub den Dämon unter sich. Hoffentlich.
„Wer hat gesagt, dass ich einen Zauber bei seinem wahren Namen rufen muss…“, murmelte ich.

Einen Zauber bei seinem wahren Namen zu nennen ist für einen etwas fortgeschrittenen Magier nicht von Nöten. Es hatte jedoch den Vorteil, eine bessere Kontrolle über den Zauber zu besitzen, nur war das eben nicht immer von Vorteil, besonders wenn man gegen einen Dämon antrat. Jedenfalls wenn man ihn nicht austrickste. Stöhn… so ein kurzer Kampf und schon wieder erschöpft. Drei Zauber in nur kurzer Zeit und dazu ein von der kraftraubenden Sorte… Ich konnte nur hoffen, dass sich hier in der Nähe keine weiteren Dämonen herum trieben. Ich brauchte einfach eine Pause, aber zuerst musste ich von hier weg.
Gerade war ich dabei, mich umzuwenden, als ein Aufschrei mich aufhorchen ließ.

„Was zum…“, zischte ich und drehte mich wieder in Richtung Trümmerhaufen. Wenig später wünschte ich mir, ich hätte einfach einen Zauber in die Richtung geschleudert. Etwas brach aus den Felshaufen hervor und flog plötzich in unglaublicher Geschwindigkeit auf mich zu. Zuerst konnte ich nur zwei riesige krallenartige Schwingen erkennen, die rasch größer wurden. Die linke Schwinge schien etwas verletzt zu sein, denn die Gestalt taumelte etwas in der Luft. Schließlich erkannte ich das Wesen. Natürlich war es wieder dieser Dämon, den ich zuvor für Tod erklärt hatte. Jedoch schien ihm nun sein linker Arm zu fehlen, was ihm anscheinend gar nicht gefiel. Auch musste er etwas an Größe gewonnen haben. Sein Gesicht war angeschwollen und war, wie sein ganzer Körper, von Mustern überzogen. Das war die wahre Gestalt dieses Dämons! Für einige Momente war ich so verblüfft, das ich mich zu spät daran erinnerte, einen Abwehrzauber vorzubereiten. Das Monster war nur noch wenige Schritte von mir entfernt, viel zu nahe!

„ICH BRING DICH UM!“, brüllte das Monster mit grollender Stimme, worauf er mit seiner verbliebenden Hand ausholte und… abriss. Sein Arm riss ab. Um Haaresbreite raste der Dämon an mir vorbei, überschlug sich einige Male und blieb schließlich ein gutes Stück von mir entfernt, mit dem Gesicht zum Boden gewandt, liegen. Was ist gerade passiert? Wieso ist plötzlich sein Arm abgerissen?
„Kehre einem scheinbar totem Gegner nie den Rücke zu“, hörte ich plötzlich eine weiblich klingende Stimme neben mir. Erschrocken blickte ich mich um und entdeckte eine weibliche Gestalt, die mich starr anschaute.

Schließlich drehte sich diese um und schritt einfach davon.
Es dauerte einige Sekunden, bis ich verstand, was gerade passiert war. Diese Frau hatte mich gerettet… oder besser gesagt dieser Dämon. Die blutroten Augen verrieten mir jedenfalls, dass es sich bei ihr nicht um einen normalen Menschen handelte. Meine Retterin, wenn es sich hier nicht wieder um eine Illusion handelte, war in ein gräuliches und etwas fremdartig wirkendes Kleid gehüllt. Um ihre Taille hatte sie ein breites schwarzes Band umgewickelt, das an ihrem Rücken zu einer großen Schleife gebunden war. Ihr Haar war ebenfalls schwarz und quer über ihr Gesicht zog sich ein schwarzer Streifen, der etwas an eine Kriegsbemalung erinnerte.

„…Ähm, danke!“
Der weiblich aussehende Dämon hielt inne und antwortete in einem sehr gleichgültigen Ton: „Du bedankst dich gerade bei einem Dämon, das ist dir bewusst, oder?“
Ich schluckte. Ja, ich hatte es mit einem Dämon zu tun.
„Wieso… hast du mir geholfen?“, fragte ich zögernd und faltete stillheimlich meine Hände zusammen, „Du bist…“
„Vergiss deinen Schutzzauber, der wird dir auch nicht viel bringen“, unterbrach sie mich, „Die wohl bessere Frage ist, was machst du in unserer Welt?“

Helfen euch für immer in dieser Welt gefangen zu halten… Das hätte ich ihr am liebsten geantwortet, doch das wäre echt leichtsinnig von mir gewesen. Schließlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Sollte ich nicht nach einem Dämon suchen, der mir nichts Böses tun wollte? War sie vielleicht dieser Dämon. Was aber… wenn nicht?

„Nun?“
Zögerlich öffnete ich meinen Mund und antwortete: „Ich suche… nach einem Verbündeten.“
„Einen Verbündeten?“, murmelte sie und drehte sich langsam wieder zu mir um. Ihre rötlichen Augen betrachteten mich sorgfältig von Oben bis Unten. Dann stemmte sie ihre Arme in die Hüften und… lachte. Erstaunt blickte ich sie an. Was hatte das jetzt schon wieder zu bedeuten. Sie lachte? „Verstehe, das Volk der Wächter… Du willst meine Kugel der Macht, nicht wahr?“
Nun war ich vollkommen verwirrt.
„Du weißt davon?“, rief ich, noch immer nicht im Klaren, was ich von diesem Dämon halten sollte.
Der Dämon hörte auf zu lachen und blickte mich mit einem breiten Grinsen an, was mir einfach nicht gefallen wollte: „Sagen wir es so… der letzte Magier, den ich getroffen habe, hat mein Interesse an euch Menschen etwas geweckt.“
Verunsichert machte ich noch einen Schritt zurück. Der letze Magier? Wieso musste sie unbedingt in Rätseln sprechen? Wollte sie mich letzten Endes doch nur verwirren und dann umbringen?

Anscheinend ließ ich mir meine Verunsicherung zu sehr anmerken, den das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des Dämons und die nun wieder etwas ernster fortfuhr: „Ich nehme an, du willst mich als deinen Verbündeten…“
„Kann ich dir überhaupt trauen?“, murmelte ich und versuchte dem scharfen Blick meines Gegenübers auszuweichen. Ihr Gesichtsausdruck war nun wieder so starr, dass man es nicht glauben würde, dass sie eben erst gelacht hatte.

„Pff, dasselbe könnte ich dich auch fragen. Ich hab dir dein Leben gerettet, Kleiner. Aber wenn du darauf bestehst...“ , sie deutete auf eine bläulich schimmernde Perle, welche sie an einer Kette um ihren Hals trug, „…Kannst du die Kugel haben.“ Misstrauisch ließ ich meinen Blick von dem weiblichen Dämon zu der kleinen Perle schweifen. Diese kleine Perle war die besagte Kugel? Konnte ich ihr jetzt trauen oder war das hier alles nur ein Trick? Als ich mich weiterhin nicht bewegen wollte, nahm sie seufzend die Kette von ihrem Hals und ließ sie mir direkt ins Gesicht baumeln.

„Hier… doch ich empfehle dir, sie lieber nicht zu nehmen.“
Mit offenem Mund starrte ich sie an. Was war das für ein krankes Spiel? Die Kugel der Macht war zum greifen nahe und nun sagt sie mir, dass ich sie besser nicht nehmen sollte? War das so eine Art Verwirrungstaktik? Hilflos starrte ich auf die vor mir baumelnde Kette. Ich konnte ihr nicht trauen, immerhin war sie ein Dämon…
„Du willst mich als Verbündeten, also vertrau mir. Nimm sie nicht.“, sagte sie, ohne eine Miene zu verziehen, „Jedenfalls nicht jetzt. Das könnte Folgen haben.“
Schließlich platze mir der Kragen. Innerlich vollkommen in Zweifeln schrie ich: „Es ist meine Aufgabe… ich brauche die Kugel!“ Und bevor ich überhaupt verstand, was ich da tat, hatte ich bereits die Kette samt Perle in meiner Hand.

Plötzlich begann die Kugel grell zu leuchten. Vor Schreck wollte ich die Kette fallen lassen, doch es schien, als ob die Kugel mit meiner Handfläche verschmolzen wäre. Als das Licht wieder erlosch, war meine Hand mit bläulichen Mustern überzogen.
„Was ist passiert?“, stotterte ich und starrte entsetzt auf meinen Arm. Die Muster schienen sich langsam immer weiter meinen Arm hinauf zu ziehen, wie Efeu, das einen Baum umschlang.
„Enttäuschend…“, murmelte der Dämon, „Ich hab dir gesagt, dass du mir vertrauen sollst.“
Sie hockte sich zu mir hinunter und setzte fort: „Willst einen Verbündeten und kannst ihm aber nicht vertrauen? Sehe es so, du bist gerade gescheitert. Nun wirst du langsam… zu einem Dämon.“
Fassungslos drehte ich meinen Kopf in ihre Richtung. Das konnte sie doch nicht ernst meinen! Ich konnte nicht zu einem Dämon werden, ich sollte die Welt vor ihnen beschützen und nicht selber zu einen von ihnen werden!

„Das kann nicht sein!“, sagte ich zittrig, „Ich kann kein Dämon werden!“
„Wenn die Verwandlung komplett ist, wirst du kein Probleme mehr damit haben“, sagte der Dämon schulterzuckend, „Was hast du eigentlich erwartet, wenn du eine Kugel anfasst, die voller dämonischer Kraft ist? Dein Geist war dafür einfach nicht bereit…“

„Irgendetwas muss ich doch dagegen machen können!“, schrie ich verzweifelt und versuchte die Verwandlung mittels Heilzauber zu unterbrechen, jedoch ohne Erfolg. Die Muster schlangen sich immer weiter meinen Arm hinauf, langsam aber beständig.

„Ein Heilzauber jedenfalls nicht“, antwortete der Dämon auf meine Frage und richtete sich wieder auf, „Es gibt nur eine Möglichkeit…“
„Welche!?“
„Du musst“, begann sie langsam, „durch das Nebeltor, zurück in die Menschenwelt.“
Das war‘s? Für einen Moment starrte ich einfach überrascht zu ihr hinauf. Schließlich sprang ich auf und rannte einfach los, zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. Ich musste sofort zu dem Tor!
„Halt!“
Plötzlich tauchte der weibliche Dämon aus dem Nichts vor mir auf und stellte sich mir und meiner Rettung in den Weg.
„Ich muss zum Tor!“, rief ich und wollte an ihr vorbeirennen, doch sie hielt mich wieder auf.
„Wenn du jetzt durch das Tor gehst“, sagte sie in einem ernsten Ton, „Wirst du den Fluch, der auf dem Tor liegt brechen. Wir Dämonen können dann in eure Welt, was einen weiteren Krieg zur Folge
haben würde. Möchtest du das?“
„Du bist ein Dämon, was interessiert dich das?“, schrie ich sie an, bereits am Verstand verlieren.
Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Schließlich sagte sie in einem bedrohlichem Ton: „Ich will aus dieser langweiligen Welt heraus, aber auf einen Krieg bin ich nicht sonderlich scharf. Darum kann ich dich nicht vorbei lassen!“
Trotz jeglicher Vernunft brüllte ich laut: „Das ist mir egal!“
Was dann geschah, konnte ich selbst nicht verstehen. Ich fühlte wie mein Körper nach vorne stürmte, wie ich mit meinem Arm ausholte und… wie meine Hand sich durch die Brust des Dämons bohrte.

Schwarzes Blut spritzte in die Höhe. Ich spürte die warme Flüssigkeit, wie sie mir langsam das Gesicht hinunter lief. Der schwarze Körper des Dämons hing nun leblos da, durchbohrt von meinem Arm. Erst jetzt verstand ich, was ich da gerade getan hatte. Ich hatte mich völlig von meiner Angst hingeben lassen. Mein ganzer Körper begann zu zittern. Das konnte einfach nicht wahr sein… wieso hatte ich das getan!
„Urgh…“ Vollkommen unerwartet gab der leblos wirkende Dämon ein Lebenszeichen von sich. Schwerfällig hob sie ihren Kopf und blickte mir noch einmal in meine Augen. Ihre Augen waren leer, wie die Augen eines Toten. In ihrem Gesicht erkannte ich jedoch wieder dieses eine Grinsen, welches dem Tod zu trotzen schien.
„Viel Spaß…“, murmelte sie und schien ihre Hand nach mir auszustrecken zu wollen, „ … kleiner Dämon.“ Hilflos starrte ich sie an, wollte etwas sagen, doch meine Stimme versagte. Kurz bevor ihre Hand mich berühren konnte, zerfiel sie zu Staub, genau wie ihr grinsendes Gesicht. Wenige Sekunden später war sie vollständig zu Staub zerfallen. Es wurde wieder still. Ich war alleine.

Schließlich, den Tränen nahe, brach ich zusammen. Ich hatte den Dämon getötet, dem ich als einziges vertrauen konnte. Ich war nicht fähig gewesen, ihr zu vertrauen und das hatten wir beide nun bezahlt. Sie tot; ich bald ein Dämon.
Eine Träne floss über meine Wange. Die Sagen aus meiner Kindheit… sie endeten immer mit einem Happy End. Jetzt verstand ich auch wieso. Es gab keine Geschichten, die über das klägliche Scheitern eines kleinen Magiers erzählten. Meine Geschichte hörte auf, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

„Cora… du hast mich gebeten, bald zurückzukommen. Wenn ich das jemals tun sollte… töte mich bitte…“, murmelte ich und schloss langsam meine Augen.
Das nächste Mal, wenn ich meine Augen öffnen sollte, werde ich nicht mehr existieren. Nur ein kleiner Dämon wird zurück bleiben…

Evan ist ein junger Krieger von 15 Jahren, der sein Leben damit verbrachte, die Charr auszulöschen. Das letzte Schlachtfeld steht nun bevor: die Trümmern von Ascalon. Die meisten Menschen starben schon durch die Magie, die in Flammen über das Land hinweg gefegt war und auch Evan schien seinem Tode nahe…

Wieder legte er seine Hand um den eisigen Griff. Vor wenigen Minuten war er noch heiß gewesen, von dem Schweiß der sich über seine Hände gelegt hatte. Jede seiner Poren war bis zum äußersten erregt, er würde weiter kämpfen, selbst wenn es ihn sein Leben kosten würde. Langsam versuchte er wieder aufzustehen, doch er drohte durch das Schwanken seines Körpers abermals umzufallen. Er wusste nicht, wie lange er bewusstlos war, aber lange konnte es nicht sein, weil die Charr noch immer vor im standen. Eine Schnittwunde zierte sein Bein, da die Klinge von einem dieser Wesen durch sein Fleisch gedrungen war. Blut floss herab und drängte den dunklen Fleischton in ein unheilvolles rot. Der Schnitt war kurz neben seiner Beinschiene, beinahe hätte sie ihn davor bewahrt zu viel Blut zu vergießen. Auch sein Kettenhemd und seine stählerne Rüstung hatte in schon vor manch todesbringenden Aktionen bewahrt, doch wie lange würden sie ihn noch schützen? Tausende Charr schienen sich vor seinen Augen in den Trümmern des kleinen Dorfes von Ascalon zu tummeln, um die wenigen Menschen, die noch lebten, umzubringen. Zwar hatte er es gehofft, sie aufhalten zu können, die Opfer so gering wie nur möglich zu halten, doch er war gescheitert.
„Bleib endlich liegen, du abartiges Wesen!“, fauchte eine in schwarze Charr, eine Narbe durchkreuzte ihr Gesicht. Sie streckte ihre Hand auf und zielte auf ihn. Sie wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, wahrscheinlich vor Vorfreude ein weiteres Leben auszulöschen.
„Du hast uns schon so lange verfolgt, nicht wahr, Menschenwesen? Du hast etliche unserer Art getötet und jetzt habe ich die Ehre, sie zu rächen. Wundervoll!“, lachte die Kreatur, ihres Sieges sicher.
Unerwartet wurde der Himmel in ein helles blaues Licht getaucht, ein, von einem nahegelegenen Ort ausgehender, heller Schwall brach wie ein Inferno über die ganze Ebene aus und blendete seine Augen. Das Wesen vor ihm verschwamm mit der plötzlich erschienen Helligkeit, ehe er seine Augen zukniff. Ein Gefühl, von welchem er nicht wusste, ob es ihm zum Aufschreien oder Jubeln bringen sollte, ergriff seinen Geist. Ein explosionsartiger Laut durchzog seine Ohren, danach kehrte die unendliche Stille ein. Da, wo eben noch Trauer, Schreie und kaltes Gelächter zu hören war, war nun jeder Laut verstummt. Zögernd öffnete er seine Augen, nicht sicher was er denken wollte und wurde von einer Welle des Schreckens erfasst. Die Charr, die eben noch in so großer Anzahl vor ihm platziert waren, lagen wie verstreute Krümel überall leblos auf dem Boden. Was war geschehen? Er konnte es sich nicht erklären. Dennoch waren auch all die restlichen Menschen nicht mehr zu sehen, die vor wenigen Minuten noch um ihr an seidenem Faden hängendem Leben gekämpft hatten. Er blickte sich bis in die Ferne, nach dem Verursacher des Lichtes um, doch konnte nichts Verdächtiges erspähen. Langsam humpelte er voran, immerzu auf sein breites eiserenes Schwert gestützt. Das hölzerne Gebälk und die steinernen Brocken machten es ihm schwer, voran zu kommen. Den regungslosen Körpern wollte er keine Beachtung schenken, dennoch verspürte er Bedauern in seinem Herz, sobald er einen Menschen sah, der vor kurzen sein Leben gelassen hatte. Bedauern darüber, sie nicht gerettet haben zu können. Die Meisten hatten jedoch ihr Leben schon in den alles verschlingenden Flammen gelassen. Das Feuer war Herr über alles geworden und hatte halb Ascalon schon mit in den Tod gerissen. Doch was war das Geheimnis dieses Lichtes? Er wollte es herausfinden, auch wenn seine Glieder dabei waren, nachzulassen und wie Blei an ihm herunterhingen. Nicht mehr lange und der Tod würde auch an seinem ausgelaugtem Dasein zerren. Zu lange hatte er schon gegen die gegnerischen Truppen gekämpft, als dass er noch weiter durchhalten könnte. Seine sonst so kräftigen Gesichtszüge waren eingefallen und müde, seine wilden braunen Haare hingen schlaff herab und selbst seine Augen wiederspiegelten seine Erschöpfung. Sein ganzer Körper, der nicht von seiner Rüstung bedeckt war, war mit Schrammen, Verbrennungen und Schnittwunden versehen. Sein Brustpanzer war verkratzt, seine Schulterpanzer schienen ihrem Dienste auch bald zu versagen und das Leder seiner Armschienen war mittlerweile völlig ausgefranzt. Der Gürtel, an dem die braune Schneide seines Breitschwertes hing, würde nicht mehr lange halten und somit würden auch die Riemen, die sich über die Panzerung seines Unterkörpers schmiegten, ihm keinen Schutz mehr gewährleisten. Auch seine Beinschienen waren nicht mehr erwähnenswert, da sie bereits einen schmerzhaften Schnitt nicht abwehren konnten. Nur seine gepanzerten Schuhe, auf die er nie viel wert gelegt hatte, schienen ihm noch weiter zu Dienste stehen zu wollen. Doch selbst, wenn er diesen erbarmungslosen Krieg überleben sollte, würde er seine mit zu viel Blut befleckte Rüstung ablegen. Selbst wenn die Charr noch so bösartig waren, er fühlte sich nicht richtig, mit dem Gewissen hunderte von ihnen ausgelöscht zu haben. Sein Blick wurde verschwommener, bald würde er wieder zu Boden sinken, dass war ihm bewusst. Ein letztes Mal starrte er in die Ferne, mit dem Gedanken irgendetwas zu erblicken und da… irgendetwas, oder war es irgendjemand, war am Rand des verkohlten Dorfes. Doch ehe in eine geringfügige Hoffnung ergriff, stürzte er auf den von Ruß und Asche geschwärzten Erdboden. Sollte er hier sein Ende finden, nachdem er so lange nicht aufgegeben hatte, sondern er immer wieder aufgestanden war? Doch es musste wohl so sein, sämtliche Kraft war von ihm gewichen und ließ keine Regung seiner Glieder mehr zu. Seine Augen genossen es, zu zufallen und der Schleier der Bewusstlosigkeit war dabei, ihn in den endlosen Schlaf zu schicken. Ein letztes Mal blitze das schwache Licht, der schon seit Monaten von düsteren Wolken besetzten Sonne, durch seine schweren Augenlieder, ehe alles schwarz wurde.

„Bitte wach wieder auf! Du darfst nicht sterben! Ich habe doch schon alles getan, was ich nur konnte!“
Unsanft erwachte er aus seinem Schlaf. Moment mal, Schlaf? War er nicht gestorben? Verwirrt riss er die Augen auf und blickte in zwei tränengefüllte hellblaue Augen. Solch helle Augen waren ungewöhnlich, sie waren fast schon weiß und schienen irgendein Geheimnis zu verbergen. Sein Blick wanderte über den Besitzer der Augen. Ein junge, scheinbar ein wenig jünger als er mit wilden bläulichen Haaren und fast schneeweißer Haut schauten ihn sorgenvoll an. Sein seltsames Aussehen irritierte ihn zuerst, doch ehe er etwas sagen konnte, fing der Junge an freudig zu lächeln.
„Endlich bist du aufgewacht, ich hatte wirklich Angst, du würdest sterben.“
„Wer bist du?“, sprach er desinteressiert.
„Ich bin’s Luigh, Evan“, antwortete dieser, „Ich hab dich mit einer Erneuerungsmagie geheilt. Seltsamerweise hattest du gar keine Magie in deinem Körper, dabei haben das doch alle, oder nicht? Deshalb könntest du dich eventuell etwas anders fühlen.“
„Öhm danke… aber kennen wir uns?“, fragte er verdutzt. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ein strahlend heller Kristall, wie ein Aquamarin, die Stirn des Jungen zierte.
„Was ist das für ein Kristall?“, stieß er hervor, woraufhin der Junge zusammenfuhr. Seine Augen suchten etwas, blickten hin und her und stoppten schließlich an einer Stelle. Er rannte hinüber und hockte sich hin. Ein lebloser Körper lag neben ihm, welchem er mit der Hand zärtlich durchs Gesicht strich. Ein Mädchen, scheinbar seines Alter, mit schwarzen Haaren, hatte wohl schon vor einiger Zeit die natürliche Hautfarbe des Lebens verloren. Ihre Augen waren geschlossen und kälte erfasste ihn, als der Junge leise zu ihr hauchte: „Tut mir Leid Mensch, dass du sterben musstest, aber es ist an der Zeit.“
Er griff nach einem Tuch, welches kurz neben ihr lag und band es sich um den Kopf. Als der Junge sich wieder zu ihm umdrehte, sah er, dass es den blauen Stein verbarg.
„Du hassest die Charr, stimmt’s?“, erwähnte Luigh, als er sich wieder zu ihm umdrehte. Ein Schrecken durchfuhr Evan, woher wusste der Junge das mit den Charr? Irgendetwas an ihm schien anders zu sein, dennoch… irgendwas an ihm kam ihm auch vertraut vor.
„Ich werde sie auslöschen, aber nur unter einer Bedingung…“, seine Augen trafen ihn und er wusste nicht, was er zu dem Jungen sagen sollte, „du wirst danach auf ewig bei mir bleiben und statt die Magie, den Krieg hassen, okay Evan?“
Ohne auf eine Einverständniserklärung zu warten, drehte er sich um und sprach: „Ich weiß wer du bist. Das ist dein größter Wunsch: sie zu vernichten. Doch alleine schaffst du dies nicht, wir werden es zusammen schaffen. Du fragst dich gerade wer ich bin, stimmt’s? Ich bin ein ähnlich magisches Wesen, wie die Charr. Nur sehe ich weder katzenähnlich aus, noch ist meine Magie begrenzt.“
Zu dem Zeitpunkt wusste Evan noch nicht, dass seine Magie doch eine Grenze erreichen konnte. Hätte er es gewusst, wäre er vielleicht nicht so weit gegangen. Er nickte stumm, da er spürte, dass der Junge, oder was auch immer für ein Wesen er war, seinen Beschluss bereits wusste. Bestimmt wusste er auch seine glückliche Vergangenheit, gegabelt mit der finsteren Gegenwart, Bescheid, die seinen einzigen Freund und Bruder ausgelöscht hatte. „Aber wie willst du de Charr vernichten? Es sind zu viele und sie sind zu stark. Hast du nicht selbst gesehen und gespürt, zu was sie fähig sind?“, dachte Evan schließlich laut und starrte den Jungen mit einer finsteren Miene an.
„Du siehst das viel zu kompliziert, Evan“, erwähnte er merkwürdig freudig, „Die Charr sind Kreaturen, die sich an der Magie einer einzelnen Quelle bedienen. Vielleicht waren sie früher sogar mal andere Wesen und hab sich nur willentlich zu dem geformt, was sie jetzt sind. Vernichten wir diese Quelle der Macht, vernichten wir die Charr, ganz simpel.“
„Aber wenn du sie auslöschen kannst…“, begann er, „wieso hast du das dann nicht schon viel früher getan, ehe sie so viele Menschen überhaupt getötet haben konnten?“
„Wieso? Darf nicht mal ein spirituelles Wesen Angst haben?“, die Worte trafen ihn wie ein Schlag, sodass es ihm schon fast peinlich war diese Frage gestellt zu haben. Klar, er mochte ein magisches Wesen sein, aber trotz allem war er immerhin noch ein Junge.
„Dieser Lichtschwall… das warst du oder?“, fragte er. Luigh nickte nur kurz mit dem Kopf, ehe er begann:
„Jap, das war ich. Aber keine große Sache. Komm, wir sollten diese Wesen endgültig vernichten, ehe sie noch mehr Menschen umbringen, das habe ich bereits beschlossen“
Evan war mehr als nur verwirrt. Ihm ging das alles viel zu schnell. Gerade erst hatte er diesen Jungen kennengelernt und dieser wollte jetzt seinen Lebenswunsch erfüllen? Wieso? Außerdem… konnte er ihm wirklich vertrauen? Er wusste kaum etwas über ihn, nur dass seine Magie scheinbar ohne Grenzen war. Doch gerade als er seine Gedanken in einen Satz umwandeln wollte, sprach der Junge irgendwelche ihm nicht bekannte Worte und der Stein auf seiner Stirn leuchtete, selbst durch das Tuch.
„Was… was tust du?“, fragte er den Tod vor Augen. Ihm wurde schwindelig und er hasste sich dafür, dass er so naiv gewesen war, einem Wesen mit Magie zu glauben. Dunkelheit war das einzige was er noch sah und verspürte. Plötzlich tauchte ein helles blaues Licht auf und zog in mit sich, wie eine warme Flamme hatte sich das Licht um ihn gelegt. Ehe er sich richtig versah, stand er, wie auch zuvor, vor dem Jungen, der seine Hände gefaltet hatte. Als Evan sich erstmals umsah, bemerkte er, dass er an einem völlig anderen Ort war. Statt Schutt und Asche war er nun umgeben von mächtigen hohen Felswänden. Der unebene Trümmerhaufen hatte sich ihn einen steinernen Boden verwandelt. Das erste was ihm ins Auge fiel, als er sich umschaute, war ein riesiger, bestimmt dreißig Fuß hoher kristallenerer blauer Stein. Um ihn herum waren etliche Charr versammelt und schossen magische Geschosse auf den Jungen ab, doch dieser parierte sie mit Leichtigkeit. Es schien fast so, als würde Luigh nichts wiegen, sondern wie eine Feder in der Luft gleiten. Er sprang in die Höhe und schickte zischendes blaues Feuer auf seine Gegner. Tausende Charr vielen wie bedeutungslose Bausteine regungslos zu Boden. Immer wieder sandte der Junge die Flammen durch den Raum, die alles zu vernichten schienen. Der eben noch so übermächtige Feind, war wirkungslos gegen das flammende Blau. Evan kam sich bedeutungsloser denn je vor, als er der deutlich einseitigen Schlacht seine Aufmerksamkeit schenkte. Doch er verstand so vieles nicht. Wieso war der Junge so stark und wieso hatte er ihn, Evan, das Leben geschenkt? Wieso lag Luigh so viel daran, seinen Traum zu verwirklichen? Wieso nahm er diese Aufgabe an sich? Plötzlich drang die Stimme des Jungen so kalt und todesbringend durch den Raum, dass er erschauerte:
„Ihr seid zu weit gegangen, Schwestern! Bis zu heutigen Tage habe ich euch verschont, aber jetzt werdet ihr sterben, denn ihr habt das Limit überschritten!“ Evan verstand die Welt nicht mehr. Hatte Luigh dies wirklich gerade gesagt? Schwestern?
„Schaffe eine Welt, auf die ich stolz wäre!“, schrie der Junge so laut er nur konnte und blickte noch ein letztes Mal zu Evan rüber, ehe sein Kristall stärker leuchtete als zuvor. Er sprang abermals in die Luft und es schien, als würde die Zeit still stehen, als sich immer mehr Feuer um seinen Körper schloss. Mit einem heftigen Strahl entfesselte er all seine Macht, ließ sie auf den Kristall zurasen und brachte den mächtigen Stein mit einem ohrenbetäubendem Klirren zum zersplittern. Sekunden danach vielen die Charr als verkommene schwarze Gestalten zu Boden. Er konnte nicht glauben, wie schnell alles gegangen war. Er konnte es einfach nicht fassen. Und wieso hatte Luigh es getan? Er wollte mit Evan glücklich zusammen leben, so viel war klar, aber mehr wusste er auch nicht. Und was meinte er mit „Schaffe eine Welt auf die ich stolz wäre“? Es hörte sich fast so an, als würde er… Er entriss sich seiner Gedanken, als er den Jungen schwer atmend und zuckend auf dem Boden liegen sah. Fassungslos rannte er zu ihm und hockte sich neben ihn. Luigh griff nach seiner Hand und schaute ihn mit seinen noch funkelnden Augen an.
„Erinnerst du dich, Evan? Erinnerst du dich an mich?“, sprach er schwach.
„Ich… ich weiß nicht, ich…“, stammelte er, unfähig noch einen klaren Gedanken zu fassen.
„Ich, dein seltsamer Freund… du hast mich wie deinen Bruder behandelt“
Als er das Wort „Bruder“ hörte öffnete es ihm die Augen:
„Aber… aber sie brachten dich um, die Charr, ich sah es!“
„Illusion… Evan, es war eine… Sie wollten mich haben weil… und deine Erinnerungen…ich… wollte dich wiedersehen…doch du… kanntest mich… nicht…ich…“
„Luigh! Luigh!“, schrie er, aber es war bereits zu spät, die Augen des Jungen waren trüb, ohne Licht und schienen schon fast leblos. Die letzen Worte die er hauchte waren: „Tut mir leid… mehr… als den Stein… die Quelle… der Magie… zu zerstören… konnte ich nicht… für dich...“ Sein Kopf fiel zur Seite und die Hand sackte auf den Boden. Derjenige, für den Evan endlos lang gekämpft hatte und an wessen Gesicht er sich nicht mehr erinnern konnte, lag wegen seiner Unfähigkeit leblos vor ihm. Das, was sein Leben ausgemacht hatte, war gestorben.

Part 1: Duell der Welten
Das war es also. Das klassische Gefecht, wie es in so vielen Büchern steht: Gut gegen Böse. Gefühle wie Hoffnung, Glück und Freude aus der Welt des Lichtes prallten ungebremst auf die Furcht, Verzweiflung und den Schrecken des Schattenreiches. Gegenseitigkeiten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Ein Duell der Welten.
Der dumpf pochende Schmerz, ausgelöst durch die heimtückische Attacke meines Gegners, durchflutete meinen ganzen Gegner. Doch diese Kleinigkeit durfte mich nicht von meinem Auftrag aufhalten. Es galt diesen Gegner so schnell wie möglich auszuschalten, um dann die Prüfung Coras’ Stammes zu erfüllen.
Ich zog meinen verlässlichen, anderthalb Meter langen Gezeiten-Stab aus der Halterung an meinem Rücken. In dem Hauch der Sekunde, als sich meine Hände um den für mich maßgeschneiderten hölzernen Schaft des Stabs schlossen, schienen sich meine elementaren Kräfte schlagartig zu verdreifachen. Die aquamarinfarbene, vollmondförmige Spitze meiner Waffe leuchtete hell auf und legte einen hoffnungsspendenden Lichtschleier über das karge Ödland. Mein Gegner wich fauchend einige Schritte in die Schatten seiner Heimat zurück.
„Schwächliches Menschenwesen“, zischte er mich aus der Finsternis heraus an. „Die Wärme deines Lichts wird dir hier nicht helfen.“
„Es wird sich zeigen, wer hier schwächlich ist“, entgegnete ich ihm kühl.
Der Schaft meines Stabes erbebte, als ich die Elemente in meinem Körper entfesselte. Ein, vor Kälte dampfendes, kugelförmiges Geschoss, manifestierte sich an der Spitze meiner gegen meinen Gegner ausgerichtete Waffe. Die klirrende Kälte, die von meinem Zauber ausging, konnte ich selbst aus der großen Distanz deutlich auf meinem Gesicht spüren. Jedem anderen hätten wohl in jenem Moment die Haare zu Berge gestanden, doch nicht mir. Wind und Eis waren meine ständigen Begleiter. Meine Inspiration, mein Trost wenn ich Traurigkeit verspürte und meine schrecklichste Waffe.
Mit einem unheilbringenden Geräusch, schwirrte der Zauber auf die regungslose Gestalt meines Gegners zu. Bis zum wirklich allerletzten Moment war ich felsenfest davon überzeugt, dass sich mein Widersacher schutzlos meinem Angriff ergeben wollte. Doch kurz bevor der dampfende Eisball sein Ziel erreichte, wich der Dämon ihm scheinbar mit spielender Leichtigkeit, mit einem blitzschnellen Ausweichmanöver zur Seite, aus.
Seine Füße hämmerten wie ein Trommelfeuer auf den staubigen, toten Boden, als er sich mir mit einer solch unglaublichen Geschwindigkeit näherte, wie sie nur ein Dämon an den Tag legen konnte.
Auch ich reagierte blitzschnell: Abermals leuchtete mein Stab hell auf. Schwere Eisblöcke hüllten die Beine meines Todfeindes ein. Seine Schritte erstarben unter seiner von mir auferlegten, frostigen Last.
„Und jetzt...“, rief ich und richtete meinen Stab in Richtung des finsteren Himmelbetts. „Blitz und Donner!“
Das Himmelszelt blitze über unseren Köpfen im Sekundentakt hell auf. Unheilvoll dröhnte und donnerte es, bis schließlich ein greller Lichtblitz gen Boden, genau auf meinen, mir wehrlos ausgelieferten Gegner schnellte.
Ich dachte bereits, ich hätte den Sieg in der Tasche, als sich plötzlich mein Feind schier in Luft auflöste und in den Schatten verschwand. Der von mir heraufbeschworene Zorn des Himmels, prallte krachend auf die Stelle, an der sich vor wenigen Augenblicken noch die Kreatur der Finsternis befand. Kleine Gesteinskiesel wurden durch die Wucht meiner Attacke aufgestoßen und bröckelten gegen meine Lederstiefel.
Einige Sekunden zogen dahin, bis sich der aufgewirbelte Staub wieder legte. Mein Gegner war verschwunden.
Vorsichtig näherte ich mich dem Einschlagsstelle. Das welke Gras unter meinen Füßen knirschte, als würde man auf morschen Knochen laufen. Endlich hatte ich die noch leicht qualmende Stelle meines Angriffs erreicht, doch von dem Dämon fehlte jegliche Spur.
„Komm raus aus deinem Versteck du Feigling!“, brüllte ich in die schier endlose Finsternis meiner Umgebung und versuchte dabei mutiger zu klingen, als ich eigentlich war. „Los zeig dich, oder hast du etwa Angst?“
„Angst?“, ertönte eine mir vertraute Stimme hinter mir auf.
Erschrocken wirbelte ich herum. Doch noch bevor ich in irgendeiner Weise reagieren konnte, packten mich zwei mächtige, mit Dornen versehene Klauen und pressten mich gewaltsam auf die staubige Erde.
Die schier tonnenschwere Gestalt meines Gegners drückte meinen Leib mit der unbändigen Stärke seiner dämonischen Körpergewalt immer tiefer in die von mir aufgelockerte Erde. In seinem blanken Hass mir gegenüber fletschte mein Bezwinger seine spitzen, gelben Zähne. Grüner, klebriger Speichel tropfte mir ins Gesicht. Der widerwärtige Gestank seines heißen Atems kroch mir in die Nase und raubte mir beinahe die Besinnung. Ich ächzte vor dem Gewicht, dass auf mir lastete und mir die Luft abschnürte. Hätte ich wohl in jenem Moment meinem Verlangen einzuatmen nachgegeben, wäre ich wohl dem Wahnsinn verfallen.
Instinktiv tastete sich meine rechte Hand wild auf der Erde entlang, auf der Suche nach meiner Waffe, deren Griff ich bei dem unerwartenden Angriff verlor.
Gerade als mein Bezwinger offenbar zum tödlichen Stoß aufholen wollte, spürte ich den feinen Schliff meines, für mich maßgefertigten Stabes in meinen Fingern.
Ein gleißender Lichtstrahl hüllte die Umgebung schlagartig in einen warmen Schleier ein, kurz bevor ein von mir ausgehender kraftvoller Windstoß, meinen Gegner meterweit durch die Luft wirbelte.
Akrobatisch stemmte sich der Dämon in der Luft meiner Attacke entgegen. Mit einem makellos ausgeführten, zweifachen Salto, berührten seine Füße wieder sicheren Boden.
So schnell ich nur konnte, rappelte ich mich wieder auf.
Abermals standen wir uns Angesicht und Angesicht gegenüber. Unsere hasserfüllten Blick trafen sich. Überrascht musste ich feststellen, dass mich mein Gegner offenbar angrinste.
Part 2: Geschwister unter sich
Die Gesetze der Zeit schienen in dieser Welt keine Rolle zu spielen. Wir konnten uns Stunden, aber vielleicht auch nur Sekunden stillschweigend einander gegenüber gestanden haben, als sich mein dämonischer Widersacher endlich zu Wort meldete.
„Beachtlich...“, knurrte er. „Du verteidigst dich gut, für ein schwächliches Menschenwesen.“
„Das kann ich auch von dir behaupten, Dämon“, sagte ich, jedoch nicht ohne meine Waffe auch nur eine Sekunde zu senken. Man konnte und durfte den Dämonen nicht weiter über den Weg trauen, als die eigenen Attacken reichten.
„Was ist? Weiter? Oder bist du etwa am Ende deiner Kräfte?“, fragte mich die Kreatur des Schattenreichs. Seine gelben Zähne blitzten mich aus der Finsternis heraus an.
„Ha!“, stieß ich gelassen hinaus. „Ich fange gerade erst an. Mein nächster Angriff wird das dich in das sichere Verderben stürzen.“
„Das werden wir ja sehen“, entgegnete er unbeeindruckt und ging wieder an Angriffsstellung über.
Ein weiteres Mal erhellte mein Stab die weite, tote Ebene des Schattenreichs. Dieser Angriff war nicht ungefährlich, auch nicht für mich. Doch dieses Risiko musste ich eingehen. Viel zu viel Zeit hatte ich bereits verschwendet, ohne mich auch nur ansatzweise meinem eigentlichem Ziel zu nähern. Jede weitere Sekunde, die ich an diesem feindseligen Ort verbrachte, schien mich mehr und mehr meiner Kraft zu berauben.
Der Boden unter meinen Füßen erzitterte als ich die Elemente in meinem Körper entfesselte und zu der Spitze meiner Waffe leitete. Es bedurfte jeglicher meiner verbliebenen Kraftreserven, um den heftig vibrierenden Gezeiten-Stab in meinen bebenden Händen zu halten. Es knisterte und knackte, als sich ein tiefer Riss zickzackförmig durch die Erdoberfläche in Richtung des Dämons fraß.
Die Angst stand meinem Gegner förmlich ins Gesicht geschrieben, als sich ihm der Spalt unheilvoll näherte. Es war unschwer zu erkennen, dass er wohl in jedem Moment Zuflucht in den Schatten suchen wollte, so wie er es einst bereits getan hatte, doch diesmal war ich schneller. Ruckartig stieß ich meine Waffe, ähnlich einem Speer, nach vorne. Der Riss in der Erdkruste hatte sein Ziel auf die Sekunde genau erreicht: Wie in Zeitlupe gab der feste Boden unter den Füßen des Dämons nach. Unter einem, mit Panik versetzten Aufschrei, stürzte der Dämon in die Tiefe. Doch ich wäre natürlich kein Gezeitenmagier gewesen, hätte ich meinem Feind auf diese Weise den gar ausgemacht.
Der Schaft meines Stabes vibrierte heftiger als zuvor, als ich mich vorsichtig dem Rand des Kraters näherte. Das Tosen und Rauschen, versetzt mit dem aufgelösten Geschreis meines Feindes verriet mir unschwer, dass mein Angriff geglückt war. Dort wo sich vor wenigen Augenblicken noch sichere Mutter Erde befand, rotierte nun ein heimtückischer Wasserstrudel und riss alles was den Mut besaß sich ihm zu wiedersetzen, in sein nasses Grab.
Immer mehr meiner verbliebenen Kraft sickerte aus meinem Körper, doch solange mein Gegner verbissen gegen den von mir ausgeführten Zauber ankämpfte, durfte ich meine Waffe nicht senken, auch wenn ich mich mit jeder weiteren Sekunde immer mehr dem Reich des Todes näherte.
Heißer Schweiß perlte mir über das Gesicht, als ich in den Strudel hinab zu der hilflos herumwirbelnden Gestalt meines Gegners sah. Noch immer versuchte er sich aus den Fängen des Zyklons zu befreien, doch es würde ihm nicht gelingen. Da war ich mir sicher. Noch nie war es jemanden gelungen, diesem Zauber zu entliehen. Daher gehörte er auch zu den verbotenen Künsten, die man in unserer Welt nur als letztes Mittel der Verteidigung einsetzen durfte.
Just in dem Moment, als ich mit meinen Gedanken in dem unberührten Grün meiner Heimat, weit weg von den Schreien und der Trostlosigkeit dieses schrecklichen Ortes schwelgte, geschah etwas, mit dem ich niemals gerechnet hatte: Ein Schatten, wie aus dem Nichts hinter mir erschienen, packte meinen ausgezehrten Körper und schleuderte mich mit scheinbarer spielender Leichtigkeit, als sei ich nichts weiter als ein Stück Fallobst, meterhoch auf den harten, steinigen Boden auf der gegenüberliegenden Seite des Wasserzyklons.
Ein unbeschreiblicher Schmerz durchflutete meinen Körper, als ich endlich wieder das Bewusstsein erlangte. Jeder Faser meines Körpers schien von dem metertiefen Sturz auf die steinige Erde wie zermalmt. Wie viel Zeit war verstrichen, seitdem ich bewusstlos dagelegen hatte? Verzweifelt versuchte ich mich aufzurichten, doch mein kläglicher Versuch scheiterte bereits mit dem plumpen Versuch meine Beine zu bewegen.
„Du hattest kein Recht, dich in diesen Kampf einzumischen, Anur!“, hörte ich plötzlich eine vertraute, recht zornig klingende Stimme hinter mir ertönen.
„Schweig, Korn!“, hallte eine andere, nicht weniger aufgebrachte und völlig fremde Stimme zu mir hinüber. „Du bist eine Schande für unser Volk. Welche Schmach muss unsere Familie nun deinetwegen erdulden? Auf zehn Generation ist unser Stammbaum in Unehre gefallen, nur weil du dich von einem solch Wurm so vorführen hast lassen!“
Wer oder was ging da vor? Noch einmal mobilisierte ich jegliche, mir noch verbliebene Kraftreserven und versuchte meinen Kopf in Richtung der Stimmen zu wenden.
„Was schert mich die Ehre unserer Familie? Das war mein Kampf! Niemand, auch nicht du Bruder, hatte das Recht, einzugreifen.“
Aus der Ferne konnte ich beobachten, wie der Dämon namens Anur, offenbar derjenige, welcher mich heimtückisch niedergestreckt hatte, Korn, meinem vor wenigen Augenblicken bekämpften Feind, vor die Füße spuckte.
„Du widerst mich an. Es beleidigt mich, dass in unseren Adern dasselbe Blut fließt.“
Selbst aus dieser großen Distanz, konnte ich deutlich Korns gelbe Zähne aufblitzen sehen. Er lachte.
„Soll ich jetzt etwa Schuldgefühle hegen, Bruder?“, lachte er.
„Nenn mich nie wieder Bruder!“, brüllte Anur. Sein mark- und beinerschütternder Schrei dröhnte so stark in meinem Kopf das ich glaubte, mein Trommelfell müsste jeden Moment zerbersten.
„Wie auch immer...“, sagte Korn und zuckte lässig mit den Schultern. „Du kannst mir ebenso gestohlen bleiben, wie eure lächerliche Revolte.“
„Diese lächerliche Revolte, wie du sie nennst, wird heute ihren Höhepunkt erreichen“, entgegnete Korns Bruder und klang zum ersten Mal recht unheimlich erheitert. „Und so sehr es mich auch anekelt zu sagen: Das haben wir dir zu verdanken.“
Unter den verwirrten Blicken seines Bruders näherte sich Anur meiner regungslosen Gestalt.
„Oh, du bist wach?“, höhnte er, als er meinen zermalmten Körper musterte.
Ich brachte kein Wort heraus. Viel zu schwer lastete der Schmerz des Aufpralls noch auf mir.
„Stirb mir bloß nicht weg. Du wirst noch gebraucht.“
Part 3: Blutzoll
Es war eine ohrenzerberstend laute Stimme, und das unverständliche Gemurmel vieler Münder, die mich plötzlich aus meiner zweiten Ohnmacht rissen.
„...und die Propheten sprachen: Ein Jünger des Lichts wird zu euch kommen. Sein Erscheinen wird eine neue Ära der Finsternis und der Qual einleiten. Erhört den Ruf des Krieges, wenn erst das Blut des Lichtweltlers den heiligen Boden Torquas berührt, und somit den Weg in die Welt des Lichtes ebnet.“
Dem Reich des Toten inzwischen näher als der Welt des Lebens, zwang ich meine Augen zu einem raschen Blick, doch hätte ich gewusst, was mich erwarten würde, hätte ich wohl den Tod stumm erwartet: Unbewaffnet und hilflos hatte man mich rücklings an einen gigantischen Pfeiler gebunden. Von meinem Ehrenplatz aus blickte ich in die hasserfüllten Gesichter von Hunderten, vielleicht Tausenden der unterschiedlichsten und widerwärtigsten Dämonen, die sich auf einer, mit Dutzenden hell flackernden Fackeln versehenen weiten Straße versammelt hatten. Am fernen Horizont erhoben sich finstere Türme und Bastionen der Dämonenstadt Torqua, so wie ich sie einst in alten Überlieferungen betrachtet hatte.
„Kinder der Schatten: Unsere Stunde ist endlich gekommen. Erreicht hat er uns, das Menschenwesen, welches uns die Tore in die Welt des Lichts öffnet. Sein Blut wird noch heute fließen und eine neue Schreckensherrschaft einleiten.“
Das kriegeshungrige Gejohle scheinbar jedes Dämons dieser Welt, hämmerte mir in den Ohren. Es fiel mir immer schwerer, bei Bewusstsein zu bleiben. Doch vielleicht wäre es auch für mich einfacher gewesen, hätte ich mich in jenem Moment einfach nur dem Tod ergeben.
„Seht ihn euch an. Blickt in das Gesicht des Menschen, dessen Tot unser Reich zu einem neuen Höhepunkt der Macht führen wird.“
Wie ich in diesem Moment überhaupt noch die Kraft zu dieser Tat hatte, wusste ich nicht. Als sich der Kleriker, der mir die ganze Zeit über den Rücken zugekehrt hatte, zu mir umdrehte, spuckte ich ihm, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, ins Gesicht. Als ihm mein Speichel langsam über seine Wangen lief wusste ich, dass diese Beleidigungen wohl zu meinen letzten Heldentaten meines Lebens gehören würde. Es verwunderte mich daher sehr, dass sich der Hohepriester nicht sogleich mit seinen diabolischen Hörnern, die ihm wie Gewächse aus dem Kopf ragten, aufspießte, sondern mich hämisch angrinste.
Die Menge vor mir schien weniger von meinem Akt der Verzweiflung angetan zu sein. Aufgebracht stießen sie glühende Feuerbälle in die Luft und reckten ihre scharfen Klingen gen Himmel.
„Beruhigt euch, meine Kinder“, zügelte der Kleriker seine Zuhörer gefasst. Sein boshaftes Grinsen wurde breiter. „Nun, Mensch: Was sollen deine letzten Worte sein?“
„Wir... kampflos... nicht ergeben...“, murmelte ich mit schwerer Stimme, während die Bilder um mich herum immer blasser wurden.
„Nun denn: Möge dein Gott, an welchen auch immer du glauben magst, deiner bemitleidenswerten Seele gnädig sein.“
Eine silbrige Klinge... Abartiger Schmerz... Blut... Höhnisches, grölendes Gelächter...
Das letzte Fünkchen Leben sickerte aus meinem Körper. Meine Augen wurden immer schwerer. Die Bilder verblassten. Hier, in der Stadt Torqua, endete mein Leben. Umgeben von den Ausgeburten der Hölle. Als erstes Opfer eines Krieges, der die Welt für immer verändern würde.
Es erfüllte mein Herz mit schwerer Trauer, aus dem Nexus, dem Reich der gefallenen Helden heraus mit anzusehen, wie die Dämonenbrut wie ein Lauffeuer über meine einstige Heimat fegten. Alles, was mir zu Lebzeiten lieb und teuer war, wurde auf die grausamste Art und Weise die man sich nur vorstellen konnte, abgeschlachtet. Freunde aus alten Tagen wurden dahingerafft, die Wälder meiner einstigen Heimat standen in Flammen und die wenigen Überlebenden von den Invasoren aus dem Reich der Schatten bis auf ihren Lebensalltag versklavt.
Doch solange der Funke der Hoffnung nicht erlicht und auch nur einer meines Volkes dazu bereit ist, sein Schwert und seine Stimme für die nächste bevorstehende Schlacht zu erheben, geht der Kampf weiter.

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